Die Mitglieder sind "geladen". Und das sowohl emotional als auch physisch: Zur nächsten Präsidiumssitzung nämlich, Anfang 2005. Eigentlich wollte der Verfassungskonvent am Dienstag bereits Bilanz über eineinhalb Jahre Meinungsaustausch ziehen, jetzt macht man doch Überstunden.

Warum? Nicht inhaltliche Fragen sind an der Mandatsverlängerung bis Mitte Jänner schuld - deren Konfliktpotenzial samt mangelnder Konsensfindung hat sich spätestens seit der harten Auseinandersetzung über die Ausgestaltung eines Grundrechtskatalogs abgezeichnet. Eine Auflistung von abweichenden und übereinstimmenden Standpunkten hätte also zeitgerecht als Minimalvariante der ursprünglich angepeilten "Verfassung neu" abgeliefert werden können.

Nein, der Konvent droht an der Selbstüberschätzung seines Präsidenten zu scheitern. Franz Fiedler weicht von seinem Vorhaben nicht ab, einen eigenen, von ihm formulierten Verfassungsentwurf zu kreieren. Wo Dissens besteht, will er mit eigenen Textentwürfen helfen.

Die Verfassungsrichter dürfen sich jetzt schon über die Gaudi freuen, die sie mit dem Fiedler’schen Grundgesetz haben werden. Ohne Fiedler die nötige Kompetenz absprechen zu wollen: Nicht umsonst haben sich hochrangige Rechtsexperten in unzähligen Sitzungen Gedanken über die künftige Gestaltung der Verfassung gemacht. Hier bestimmen Details in Formulierung und Platzierung die Rechtsprechung.

Wenn Fiedler taktische Klugheit besitzt, zieht er sein Extrapapier zurück, noch bevor sein Entwurf vom Präsidium vernichtet wird. Wenn strittige Punkte bestehen, müssen diese transparent gemacht und nicht autonom in Reinschrift gegossen werden. Schließlich liegt die eigentliche Arbeit des Konvents im Einigen, nicht in der Formulierungskunst. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2004)