Kiew/Moskau - Der Präsidentschaftswahlkampf in der Ukraine vor der Wiederholung der Stichwahl am Sonntag ist in der Zielgerade. Den meisten Analysen zufolge hat Oppositionsführer Viktor Juschtschenko das TV-Duell gegen den beurlaubten Ministerpräsidenten Viktor Janukowitsch Montagabend in selbstbewusstem Stil gewonnen. Besonders im ökonomischen Teil, wo Juschtschenko mit Zahlen brillierte, aber auch was die moralische Autorität des Amtes betrifft.

Schon vor der TV-Debatte gaben Umfragen Juschtschenko zehn Prozentpunkte Vorsprung vor Janukowitsch. War die Stichwahl am 21. November durch massive Wahlfälschungen entstellt worden, so ist am 26. Dezember unter der Aufsicht einer beispiellos hohen Zahl internationaler Wahlbeobachter ein einigermaßen echtes Wahlresultat zu erwarten. Allein die OSZE entsendet mehr als tausend Beobachter, unter ihnen zwölf Österreicher.

Janukowitsch scheint sich mit seiner Niederlage bereits abgefunden zu haben, was zu der originellen Wendung führte, dass er Juschtschenko vorschlug, die Kräfte zu vereinigen und das "alte Regime in den Ruhestand zu schicken". Janukowitsch versprach in der TV-Debatte, den Sieg Juschtschenkos im Tausch gegen einen konkreten Posten in seiner Administration anerkennen zu wollen. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin sieht "kein Problem" mehr in einer Zusammenarbeit mit Juschtschenko.

Die Aufmerksamkeit ist weit gehend auf den Osten gerichtet. Schon am Wochenende hatte Janukowitsch vor Unruhen gewarnt, da man im Osten Juschtschenko nicht anerkennen werde. Dieser verstärkte dort seine Wahlkampagne. Juschtschenko versuchte die Bevölkerung angesichts der Nationalismusvorwürfe gegen sein Lager zu beruhigen, und versprach, die russische Sprache nicht zu diskriminieren, gute Beziehungen mit Moskau aufzubauen und die marode Schwerindustrie zu stützen.

Unterdessen rückt die wirtschaftliche Lage in den Vordergrund. Der langen Staatskrise und der durch Janukowitschs Wahlgeschenke an die Bevölkerung angeleierten Inflation dürfte schon bald eine ernsthafte wirtschaftliche Krise folgen. Gerade Lieferblockaden in der Metallbranche, die vom Donezker Industrieclan kontrolliert wird und von der das Budget wesentlich abhängt, lassen auf Verteidigungskämpfe und Machinationen schließen. Als wahrscheinlicher Wahlsieger übernimmt Juschtschenko eine kritische Situation. (Eduard Steiner/DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2004)