Foto : STANDARD/Comédie Française/Alain Fonteray
Mit heiligem Kunsternst, in seliger Erstarrung, zelebriert die Comédie Française Thomas Bernhards theatralischen Schwanengesang "Heldenplatz" als Untergangsweihespiel. Ein Irrtum.


In der Comédie Française, dem höchstdotierten staatlichen Theater Frankreichs, wird Heldenplatz zur Bernhard-Dämmerung. Der unbekannte 37-jährige Regisseur Arthur Nauzyciel verwandelt Molières Musentümpel in eine Wiener-Werkstätten-Begräbnisanstalt. Morbidität ist angesagt. Finster war's, spärlich erleuchten die Scheinwerfer die Schauspieler, die wie Salzsäulen oder wie Opernsänger aus den 50er-Jahren dastehen und den Text von Thomas Bernhard rezitieren. Mehr oder minder verständlich, mit Ausnahme des großartigen François Chattot, der extra für die Rolle des Professor Robert Schuster in die Truppe aufgenommen wurde.

Die Begräbnisatmosphäre dieser Inszenierung, mit der Thomas Bernhard ins Repertoire der Comédie Française aufgenommen wird, gehört zu Nauzyciels Regiekonzept. Er möchte dem Stück seine universelle Gültigkeit verleihen, was aber szenisch nicht aufgeht. Ein grundlegendes Missverständnis: Marcel Bozonnet, Generalintendant der Comédie, wollte unbedingt Bernhards letztes Stück aufführen, eben weil es das letzte ist und ihm – "so wie dem Eingebildeten Kranken Molières, die Tragweite eines literarisch-testamentarischen Vermächtnisses zukommt".

Regisseur Nauzyciel hat sich dieses Diktum hinter die Ohren geschrieben und Bernhards Stück in schwarze Tinte getaucht. Dass trotzdem einige Leute im Publikum immer wieder lachen, beweist, dass Bernhards Text sozusagen imprägniert, also stark widerstandsfähig ist, selbst gegen allzu schwarze Melancholie.

Nauzyciel hat seinen Regiekollegen Eric Vigner (aus dem bretonischen Theater in Lorient) mit der Gestaltung des Bühnenbildes beauftragt. Die Umsetzung ist morbide: Ein schwarzer Taftvorhang, von silbernen Quadraten à la Josef Hoffmann gerahmt, hängt vor einer schwarzen Holzfensterlädenwand, wenn das Dienstmädchen Herta schwarze Schuhe innig mit einem Tuch streichelt und Frau Zittel (Christine Fersen) im schwarzen, hinten geschlitzten Lederrock, ihre raue Männerstimme erklingen lässt. Frau Zittel ist keine pausenlos agierende, sondern eine immobil philosophierende Gesellschafterin des verstorbenen Professor Schuster. Die Hemden, die sie bügelt, sind rabenschwarz. Ein überraschender Nebeneffekt.

Ins Glas geschaut

Dass die Zittel gelegentlich wie eine Alkoholikerin, die wieder einmal zu tief ins Glas geschaut hat, losbrüllt, um Bernhards Text auszuspeien, wirkt peinlich. Da der endlose erste Akt von der jeweiligen Zittel-Darstellerin getragen wird, bedauert man, dass ihre bewusst bescheidene Stichwortgeberin Isabelle Gardien als Herta nicht mehr zu sagen hat.

Im zweiten Akt hat sich Eric Vigner einen – im fotografischen Sinn – Negativeffekt ausgedacht. Das Bühnenbild ist eine Negativaufnahme einer Wiener Architekturlandschaft in Sepiatönen, so wie das Outfit der Schuster-Tochter Anna, der offensichtlich die Kraft der Bernhard-Aussagen die Stimme verschlägt. Auch ihre Schwester Olga spricht wie ein Medium in Trance. Womit wir bei einem zweiten Grundproblem der Aufführung wären: Nauzyciel will das Stück möglichst ohne Pathos vermitteln. Im Begräbniskontext ein merkwürdiges Anliegen. "Der Text wird gesprochen, aber Bernhards Theater wird nicht gespielt", so bringt es der Wien-erfahrene Regisseur Patrick Guinand auf eine treffende Kurzformel.

Im dritten Akt, wo auf weißen Kisten gespeist wird, die an Bernhards weißen Holzsarg erinnern, wird Heldenplatz zur expressionistischen Satire. Sohn Lukas trägt Frau Professor Schuster (die rangälteste "Sociétaire" der Comédie Française, Catherine Samie) wie eine Marionette auf die Bühne, die Herren behalten die schwarzen Hüte bei Tisch am Kopf.

Nur Herr Landauer trägt eine Art Pfaffenkäppchen und liest seinen Text aus einem Gebetbüchlein ab, wobei seine wackelige Diktion entweder auf schwere Krankheit oder auf übermäßigen Alkoholkonsum schließen lässt. Das finale Chaos, das Massengeschrei vom Heldenplatz, das in die Wohnung heraufdringt, übertönt die letzten Textpassagen. Ein letzter Schlag gegen die Aufnahmefähigkeit eines ohnedies schon mitgenommenen Publikums. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25./26.12.2004)