Es sind Heerscharen, und man kann sich ihrer kaum mehr erwehren: Aus allen Regalen der Kinderspielzeugläden glotzen die Fratzen der grauenerregendsten Monster. Dämonen kriechen durch Kindergeburtstagspartys, sie lauern in den Spielzimmern der Freunde, sie belagern monatelang das eigene Heim, das man eigentlich aus pädagogischen und Gründen des Selbstschutzes zur kriegsfreien Zone erklärt hat, und sie dringen schließlich doch irgendwie ein - meist über die Geschenke von Bekannten und Verwandten und über ausgeklügelte Listen der eigenen Kleinen, deren ganzes Drängen und Sehnen diesen Kunststoff und Plastik gewordenen Abscheulichkeiten gilt.Denn in der Kinderwelt tobt der Krieg, und wer unbewaffnet unter Gleichaltrige tritt, ist ein Loser. Korrektur: Dieser Krieg spielt sich in der Bubenwelt ab, denn Mädchen interessieren sich für derlei Aggressionsmaterial kaum. Warum das so ist, kann man nur erahnen, Beweise für geschlechtsspezifische Unterschiede oder gar hirnphysiologische Erklärungen liegen auf wissenschaftlicher Basis derzeit noch nicht vor. Industrie

Fest steht aber, dass eine gewaltige Industrie das, was Buben immer schon mochten und wahrscheinlich auch brauchten, nämlich sich kämpferisch in das Leben zu spielen, auf geradezu unverschämte Weise in eine Brutalität verzerrt, die bisher nicht da war. Mord und Totschlag, und zwar in penibler Darstellung, stehen hier auf der Tagesordnung, und die Spielzeugmacher liefern bereitwillig am laufenden Band die grausamsten Waffen dazu.

Der dazugehörige kommerzielle Medienverbund funktioniert perfekt, Videos, Sticker, Karten, Computerspiele und, und, und ergänzen in stetem Strome, gut beworben und allmonatlich neu, das Waffenarsenal. Denn der wirkliche Krieg spielt sich selbstverständlich an den Aktienbörsen dieser Welt ab, und die Kinder sind lediglich die Soldaten, die von multinationalen Konzernen in diese Schlacht um den Aktienindex geschickt werden. Fantasie

Wer meint, Kinder müssten ihre Aggressionen ausleben, hat Recht. Wer aber meint, derart perfekt aufbereitetes kriegerisches Spielzeug sei da probates Mittel zum Zweck, irrt. Die renommierte Kinderpsychologin Waltraut Hartmann erklärt den Unterschied: "Wenn sich die Kinder ihre eigenen Waffen bauen, dann ist nichts dagegen einzuwenden." Denn Holzschwert, Pfitschipfeil & Co seien Materialien, die die eigenen Bedürfnisse der Kinder aufnehmen, irgendwann wieder kaputtgehen, spielerisch ersetzt werden. Was sich Kinder selbst basteln, entspricht ihrer Welt. Was die Industrie bereitstellt, tut das längst nicht mehr, und die übermächtigen Gestalten machen sich in einer kindlichen Fantasie breit, die damit kaum umgehen kann, ja ihr nicht gewachsen ist.

Das Schema dieser vielgestaltigen Grausamkeiten ist stets das gleiche: Die Welt wird bedroht, sie muss gerettet werden, das Gute wird ständig angegriffen, und dadurch erhält es die Legitimation zum Kampf, der allerdings nie endet, denn das Böse - dafür sorgt die Industrie - kann nie letztgültig besiegt werden. Hartmann: "Die Kinder lernen vor allem eines: Wenn du nicht hinhaust, passiert etwas Schreckliches." Fazit

Vorgefertigtes, aggressives Spielzeug, das ist durch internationale Studien belegt, sind aggressivem, kindlichem Verhalten eindeutig förderlich, da die Aggression durch die zur Verfügung gestellten Waffen nicht abgebaut, sondern vielmehr erlernt wird. Und: Die Cyberwelten jagen den Kindern stete Ängste ein, mit denen sie kaum fertig werden, und die sie nach neuen, noch stärkeren Waffen lechzen lässt, mit denen sie sich verteidigen können. Hartmanns Fazit: "Früher wurden kleine Kinder mit derart schrecklichen Inhalten nicht konfrontiert, heute wird ihnen ständig Angst eingejagt." Der merklich erhöhte Aggressionspegel, von dem jede Kindergärtnerin, jede Volksschullehrerin zu berichten weiß, ist nur eine der Folgen. Und diese Aggression ist eindeutig männlich dominiert.

Eltern, die sich diesem perfekt kommerziell aufbereiteten Markenkampf widersetzen wollen, haben schlechte Karten. Die Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger berichtet, auch sie stehe mit ihrem Enkelbuben stundenlang vor der Auslage von Messergeschäften, und im pädagogisch wertvollen Spielzeugladen sei ihm eigentlich nur fad. "Ich habe immer geglaubt, das hätte etwas mit Erziehung zu tun, aber das ist nicht so", sagt sie, "es dreht sich alles nur noch um Kämpfe und Kriege, und je ängstlicher die Kinder werden, desto mehr umgeben sie sich mit Waffen." Der Druck der Gruppe, für Kinder enorm wichtig, tue ein Übriges.

Denn schon die ganz Kleinen wollen vor allem eines: Sie wollen anerkannt werden, sie wollen groß und stark werden, und dazu müssen sie sich erproben und ihr persönliches Gleichgewicht finden. Und: Sie müssen die Chance haben, auch siegen zu können. Monster "Der Held ist deshalb der Mensch, ob Mann oder Frau, der fähig war, sich über seine persönlichen und örtlich-historischen Grenzen hinauszukämpfen zu den allgemein gültigen, eigentlich menschlichen Formen", schreibt Joseph Campbell in seiner großartigen Mythologiege-schichte "Der Heros in tausend Gestalten". Die Spielzeugindustrie von heute zeigt genau das Gegenteil vor. Es liegt einzig an den Eltern, ihren Kindern diese "allgemein gültigen, eigentlich menschlichen Formen" beizubringen. Das braucht Zeit, Geduld, viel Liebe und Zuneigung. Wer die aufbringt, kann auch mit ein paar Monstern im Kinderzimmer ganz gut leben. Der Gedanke, die Erziehung vor allem den virtuellen Geistern unserer Zeit zu überlassen, lässt auch Erwachsenen das Blut in den Adern gefrieren. (Ute Woltron/DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2004)