Der Geruch von Tod und Verwesung liegt in der Luft. Hunderte Leichen liegen auf der Straße. Ein Vater hebt leise in seinem Reisfeld ein Grab aus, um seinen Sohn zu beerdigen. Tausende Obdachlose verrichten ihre Notdurft in der Öffentlichkeit. Die Seuchengefahr wächst.

Nach der verheerenden Flutwelle, die am Sonntag mindestens 4.300 Menschen an der indischen Südostküste das Leben gekostet hat, bietet sich dort ein Bild des Schreckens und Leidens, für das es keine Worte gibt - vor einer Kulisse der Armut und drohender Krankheiten.

"Das Risiko, dass hier überall Epidemien ausbrechen, ist sehr hoch", sagt Doktor Sathish Amarnath, leitender Mikrobiologe am Manipal Krankenhaus in Bangalore. "Verwesende Körper sind Bakterienfabriken. Diese Körper müssen schnell beseitigt werden", erklärt er. Aber das ist in den Städten im am härtesten betroffenen Unionsstaat Tamil Nadu bisher nicht geschehen.

Hunderte Leichen auf den Straßen

In Velankanni, einem der wichtigsten indischen Pilgerzentren mit einer 400 Jahre alten Basilika der Jungfrau Maria, liegen hunderte Leichen in den Straßen und am Strand. "Wir haben bislang 700 Leichen geborgen und identifiziert. Etwa 700 weitere liegen hier noch herum", sagt der Geistliche Pater Xavier, der bei der Koordination der Bergungsarbeiten hilft.

Es gibt kaum Verletzte. Die Krankenhäuser dienen vor allem als Leichenhallen. Die örtlichen Behörden bemühen sich um Unterkünfte für die mehr als 100.000 Obdachlosen in dem 200 Kilometer breiten Küstenstreifen.

Hygiene spielt in dem Chaos für die meisten Menschen keine Rolle. Helfer bergen Leichen mit bloßen Händen. Ärzte lassen unidentifizierte Leichen unter freiem Himmel liegen. Menschen fahren ihre toten Angehörigen auf offenen Wagen durch die Straßen. Die Leichen werden aufgeschichtet und in Massengräbern beigesetzt.

Situation "extrem gefährlich"

"Die Situation ist extrem gefährlich", sagt Mikrobiologe Amarnath. Die Behörden müssten sich darüber bewusst werden, wie ernst und umfassend die Bedrohung sei. Die Leichen könnten das Grundwasser verseuchen und Krankheiten wie Cholera, Typhus, Hepatits A und Ruhr verbreiten.

Amarnath appelliert an die Menschen, Chlorkalk über die Leichen und in das Wasser zu streuen. "Es gibt so viel mehr, was wir tun sollten", sagt der Mediziner weiter. Impfungen für die Überlebenden seien wichtig, sobald sie mit Leichen zu tun gehabt hätten.

Die Behörden sagen, es werde alles getan, um die Überlebenden mit den wichtigsten Hygiene-Regeln vertraut zu machen. Doch viele Menschen haben andere Sorgen. "Ich kann einen Mann, der seine Familie und sein Haus verloren hat, nicht auffordern, sein Wasser abzukochen, bevor er es trinkt", sagt etwa ein Arzt, der nicht mit Namen genannt werden möchte.

Erschütternde hygienische Zustände

Auch in den Krankenhäusern herrschen teilweise erschütternde hygienische Zustände. In Nagore, einer Vorstadt von Nagappattinam, berichten Augenzeugen, dass das Personal die gleichen Injektionsnadeln für mehrere Patienten benutzten.

"In den vergangenen zwei Tagen, waren wir nur damit beschäftigt, Tote zu bergen und Leichen zu zählen", sagt der Regierungsbeamte Veera Shanmuga Moni. Erst jetzt würden die eigentlichen Hilfsaktionen langsam in Gang kommen. Als erstes wolle man für die Obdachlosen in den Notunterkünften Behelfstoiletten errichten. (APA/AP)