Die Neo-Koservativen wie Paul Wolfowitz sind nicht konservativ im Sinne von beharrend oder risikoscheu - sie propagieren vielmehr ein offensives, von aggressivem Gestaltungswillen getragenes Vorgehen.

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"Neokonservativ", "neoliberal": Politische Etiketten sind allgegenwärtig und stillen das Bedürfnis nach Orientierung. Oft stiften sie aber auch Verwirrung oder werden für fadenscheinige Zwecke missbraucht.

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Wien - Wenn es eine Wahl der am meisten verwendeten politischen Etikette des Jahres 2004 gäbe, dann wäre wohl wieder der "Neokonservativismus" der chancenreichste Anwärter auf diesen Titel. Etiketten wie diese erfüllen in einer komplizierten Welt viele nützliche Funktionen. Sie schaffen Übersicht, ermöglichen Orientierung und ein grundlegendes Verständnis für die wichtigen ideologischen Antriebskräfte des Weltgeschehens.

Wer trägt die Verantwortung für die missglückte Befriedung des Irak? Ganz einfach: Die "Neokonservativen" waren es. Bei solch simplen Antworten werden oft die irreführenden Seiten politischer Etikettierungen übersehen. Der dem Begriff des Konservativen innewohnende Bedeutungskern des Beharrenden und Risikoscheuen entspricht genau dem Gegenteil dessen, was "Neokonservative" wie Paul Wolfowitz oder Richard Perle propagieren: Ein offensives, von aggressivem Gestaltungswillen getragenes Vorgehen, mit dem Demokratie nach US-Vorbild exportiert werden soll.

Die am Beispiel des "Neokonservativismus" feststellbare Etikettenproblematik ist kein Einzelfall. Wenn sich der neue rumänische Staatschef Traian Basescu einen "Liberalen" nennt, dann will er damit vor allem signalisieren, dass er sich von seiner Herkunft aus der kommunistischen Nomenklatura gelöst habe und ein ganz anderer geworden sei.

Andere Bedeutung

Diese absichtsvolle Verwendung des Labels "Liberal" ist nicht nur in Rumänien gang und gäbe, sondern in allen Ländern des ehemaligen Ostblocks. Eben dort, wo historisch eine wirklich liberale Tradition fehlt, da stellt ein Wort wie "liberal" zur rechten Zeit sich ein.

Gerade beim "Liberalismus" ist die Sachlage besonders kompliziert, weil das Wort "liberal" in unterschiedlichen politischen Kulturen völlig andere Bedeutungen und Assoziationen hat. Für einen amerikanischen Republikaner ist "liberal" ein gegen den "linken" Flügel der Demokraten gerichteter Kampfbegriff und ein Schimpfwort für Leute, die sich aus dem Mainstream verabschiedet haben. Wenn die Wahlkampfstrategen von George W. Bush den Demokraten John Kerry in diesem Jahr besonders scharf attackieren wollten, dann griffen sie gerne zum Vorwurf, Kerry sei neben seinem Kollegen Edward Kennedy der "liberalste Senator" im amerikanischen Kongress.

Andererseits hat sich in den USA auch ein anderer Begriff von Liberalismus gehalten: In seinem Zentrum steht die Forderung, dass der Bürger von jeder staatlichen Bevormundung so weit wie möglich geschützt sein soll.

So verstanden kann auch ein amerikanischer Konservativer äußerst liberal sein, wenn er etwa gegen behördliche Vorschriften aufbegehrt, welche sein Recht zum Waffentragen einschränken. Die politischen und gesellschaftlichen Zielsetzungen eines solchen "Altliberalismus" decken sich nur teilweise mit denen des "Neoliberalismus", der ein weiterer chancenreicher Kandidat auf die meistgebrauchte politische Etikette des Jahres wäre. (DER STANDARD, Printausgabe 29.12.2004)