In den unfassbaren Opferzahlen und dem Ausmaß der Zerstörung spiegelt sich nur ein tragischer Teil der vielen Auswirkungen des Seebebens vor Sumatra: Atlanten müssen neu gezeichnet, Satelliten neu geeicht und Messsysteme nachgestellt werden - unser Planet ist und verhält sich anders als vor der Katastrophe.

Neben dem ausgelösten Tsunami ließ die bei den Erdbewegungen frei gesetzte Energie fünfzehn der 572 Inseln der Andamanen und Nikobaren im Meer versinken und dort, wo zuvor nur ein Eiland aus dem Wasser ragte, orten Satelliten heute zwei. Ganze Inselgruppen wurden überhaupt um Meter versetzt. Und die Erdachse dürfte sich wirklich um einige Zentimeter verschoben, die Rotationsgeschwindigkeit um drei Mikrosekunden zugelegt haben.

Beeinflusste Planetenbewegung

"Bewegungen von nur wenigen Millionstel des Erdradius verschieben bereits derart viel Krustenmasse und damit Trägheits- und Schwerkraftverhältnisse, dass sie die Planetenbewegung beeinflussen können", bestätigt Geophysiker Gottfried Kirchengast von der Uni Graz. "Und das war bei diesem Beben der Fall." Die Rotationsbeschleunigung könnte dauerhaft sein - mit Auswirkungen auf Satelliten und Messsysteme. Da normalerweise nur Vorgänge wie Gezeitenkräfte, Eiszeiten und Gebirgsbildungen über lange Zeit einen nachhaltigen und noch stärkeren Einfluss auf die Rotationsgeschwindigkeit hätten, könne man sich vorstellen, "welch gewaltige Energie dort in wenigen Sekunden frei geworden ist", sagt der 39-jährige Forscher. Und wie groß war die tatsächlich?

Ausgehend von einer inzwischen gesicherten Stärke 9,0 nach dem Momentenmagnitudensystem - ältere Skalen wie jene von Richter werden ab einer Stärke von etwa acht zu ungenau, weil sie nur die Wirkungen von Oberflächenwellen berücksichtigen, nicht aber die tatsächlich frei werden Kräfte im Bebenherd - errechnet Kirchengast etwa 30 Exajoule. Und da sich darunter niemand etwas vorstellen kann, setzt der Geophysiker diesen Wert - nur ungern - in Relation mit der Energie der größten jemals getesteten Atombombe, einer in den 1960ern von Russland gezündeten 50 Megatonnen Wasserstoffbombe. Demnach wären Sonntag im Bebenherd rund 100 solcher Bomben oder etwa 300.000 der viel schwächeren Hiroshimabomben gleichzeitig gezündet worden.

"Solche Beben/Bomben-Vergleiche sind aber nicht gut, weil die Energie einer Bombe ganz anders umgesetzt wird als die eines Erdbebens", sagt Kirchengast. So würden maximal zehn Prozent der Energie eines Seebebens an den Tsunami weiter gegeben. Und maximal zehn Prozent davon würden in die zerstörerische Kraft der Flutwelle beim Auftreffen auf Küsten fließen. Daran könne man erahnen, was passiert wäre, hätte dieses Beben an Land stattgefunden: Auf 1000 Kilometer Länge und vermutlich 100 Kilometer Breite wäre alles vernichtet worden.

Energieverbrauch

Die zerstörerische Energie, die der Tsunami entlang der Küsten freigesetzt hat, entspricht laut Kirchengast etwa dem gesamten jährlichen Energieverbrauch von Sri Lanka beziehungsweise dem gesamten Energieverbrauch Österreichs in drei Monaten. Und mit jener Energie, die im Bebenherd frei wurde, könnte man einen Monat lang fast den gesamten Energiebedarf der Welt decken. "Noch im 19. Jahrhundert hätte die Gesamtenergie des jetzigen Bebens das etwa Fünffache des Jahresenergieverbrauchs der Weltbevölkerung betragen", sinniert der Forscher. "Das heißt, dass die Menschheit mit ihrem Energieverbrauch heute den größten Naturkatastrophen Konkurrenz macht": Der Mensch bringe derart viel Energie in das System Erde, dass er sich auch auf von ihm selbst verschuldete Naturkatastrophen wie Extremwetter und Klimaschwankungen gefasst machen müsse. Auf Erdbeben habe der Mensch keinen Einfluss. Die hören erst auf, wenn es keine Kontinentaldrift mehr gibt - wenn sich das zähflüssige Erdinnere, auf dem die Platten gegeneinander schwimmen, abgekühlt hat und es erstarrt ist. Also in einigen Milliarden Jahren. (DER STANDARD, Print, 31.12.2004/1./2.1.2005)