Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Archiv

Der britische Pianist Solomon ist den deutschen Musikfreunden immer noch längst nicht so bekannt, wie es dieser Meister - einer der einsam großen Beethoven-Spieler des 20. Jahrhunderts - eigentlich verdient. Zumal die "späten" Sonaten Beethovens, aber auch die Konzerte und manche Klavierwerke von Brahms hat niemand so gewichtig, streng, schnörkellos und überprivat gewaltig vorgetragen, wie es Solomon vermochte.

Wenn es sich tatsächlich so verhielte, ließe sich fragen: Wie konnte Solomon dann im Zeitalter globaler Information relativ unbekannt bleiben? Der Fall Solomon gehört zu den merkwürdigsten Phänomenen der Rezeptionsgeschichte. In der Englisch sprechenden Welt wurde Solomon, der als Wunderkind begann, dann eine kluge Pause einlegte, gewiss gebührend bewundert. Der Pianist Clifford Curzon nannte ihn "einen der großartigsten Künstler der Welt". Gerald Moore, der König der Liedbegleiter, schwärmte von Solomons "magischer Frische".

Zwei Gründe hemmten jedoch die Solomon-Rezeption in Deutschland. Einerseits war dieser jüdische Künstler zwischen 1933 und 1945 infolge der NS-Kulturpolitik unerwünscht. Während der Fünfzigerjahre begann man gewiss auch in Deutschland sich für ihn zu interessieren. Doch 1956 erlitt Solomon einen Gehirnschlag. Er musste also genau zu dem Zeitpunkt aufhören, als sich die Langspielplatte durchzusetzen begann! Später erst hat man Solomons alte Schellack-Aufnahmen dann umgeschnitten zu LPs und CDs.

Doch auch diese tragischen Umstände erklären nicht ganz die zögernde deutsche (und kontinentale) Solomon-Rezeption. Sie hängt überdies wohl zusammen mit der ungewohnten, damals zunächst befremdenden, einschüchternden, dann aber umso nachhaltiger wirkenden Inständigkeit, Tiefe, Gewalt und Ruhe seiner Kunst.

Schräg, interessant, effektvoll aufgemotzt spielte der nie. Doch wenn man sich etwa auf das riesige Adagio der gefürchteten "größten Sonate der Musikgeschichte", nämlich der Beethovenschen Hammerklavier- Sonate Opus 106, konzentriert, wie Solomon diese Musik immer ruhiger und immer bannender entstehen lässt, dann findet man bald fast alle anderen Interpretationen schal. Solomon gibt keine bloß individuelle Klage - sondern den gleichsam ins Überpersönliche gesteigerten "Schmerz" Beethoven'schen Ausdrucks.

Er bietet nicht "Stellen", sondern ruhig überwältigende Gestalten. Solomon zahlt dabei gleichsam "bar", meistert die bewusste Klassizität von Beethovens später As-Dur-Sonate Opus 110 vollkommen lauter. Fesselnd, ohne alle Interessantmacherei. Seine Technik ist, und dient, makellos.

Der ekstatische Vladimir Horowitz konnte mit Solomons strenger Gewalt wenig anfangen. Er nannte ihn, von mir befragt, abschätzig "borer", also "Langweiler". Vielleicht wusste Horowitz nur nicht, wie elegant Solomon die Leggerezza -Etüde von Liszt hinzulegen vermochte. Doch beim Beschwören des Beethoven'schen Spätwerks schien dieser Künstler allein auf der Welt zu sein. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.1.2005)