Neue Führung, neue Strategie
Dem Unternehmen geht es nicht sehr gut, aber es kämpft: mit neuer Führung und neuer Strategie. "Reuge war Monopolist bei einem Produkt, für das es keinen Markt gibt", beschreibt Firmenchef Aldo Magada die Ausgangslage. Wer, außer ein paar mechanikbegeisterten Sammlern, zahlt schon 1000 bis 5000 Franken für eine Maschine, die man aufziehen muss, damit sie ein paar Melodien klimpert? Nur mit den Traditionalisten als Kunden würde die Firma zugrunde gehen.
Früher beschallten die Dosen ein Publikum, das außer Glockenspielen keine Musik aus der Konserve kannte. Kräftig die Kurbel gedreht, und es erklang Mozarts "Kleine Nachtmusik" oder eine der "Vier Jahreszeiten". Der Genfer Uhrmacher Antoine Favre hatte das Prinzip, einen metallenen Kamm von Stiften eines rotierenden Zylinders anreißen zu lassen, 1796 erfunden. Als Resonanzkörper dient ein Holzboden.
Die erste Krise kam mit dem Grammophon
Im Westschweizer Jurabogen entstand dank Favres Erfindung eine bedeutende Industrie. Ein Standort neben Genf war Sainte-Croix. Hier baute Charles Reuge 1865 sein Unternehmen auf, bis 1877 Thomas Edisons Grammophon und damit die erste Krise kam. Nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckten nicht nur Amerikaner die "kleine Musik", sondern auch Asiaten, deren Plagiate die europäische Industrie in den Niedergang trieben. Nur Reuge hielt sich.
Heute hat die Firma 75 Angestellte. 50 arbeiten in der Produktion. In einem rußschwarzen, stinkenden Ofen formt der Etampeur das Metallstück für den Stimmkamm. Geschnitten wird es vom Fendeur, früher per Hand, heute mit einer computerbetriebenen Maschine. Der Arrangeur setzt die Melodien so, dass die Spieldose sie spielen kann. In einen Urzylinder sticht der Piqueur nun bis zu 35.000 Löcher, in die die Goupilleuse (die weibliche Bezeichnung lässt erahnen, wie fingerfertig man für die Arbeit sein musste, die inzwischen maschinell erledigt wird) per Hand winzige Stahlstifte pflanzt. Dann gießt der Gommeur den Zylinder mit Harzleim aus, und der Fixeur schraubt alles auf einer Platine zusammen und setzt das Ensemble in eine edle Holzdose.
Die teuersten Modelle sind ein beliebtes Mitbringsel Schweizerischer Bundespräsidenten. Prinz Charles, der Papst, der japanische König, alle haben eine. Die Produkte der klassischen Linie "1865" sind von eher barocker Ästhetik und werden hauptsächlich von Amerikanern und Japanern gekauft.
Ein Abenteuer