Mailand/Wien - Für die italienische Textil- und Bekleidungsindustrie, insbesondere die Schuhunternehmen, beginnt das Jahr 2005 mit einem Albtraum. Denn Ende Dezember ist das Textilabkommen der Welthandelsorganisation WTO ausgelaufen. Es hatte ein Quotensystem zum Inhalt, das die Industrieländer vor billigen Massenimporten schützte. Vorteile des quotenfreien Handels haben besonders China und Indien.

Nachteile entstehen vor allem für die größtenteils mittelständisch bzw. klein strukturierten italienischen Unternehmen. Denn in Italien hat die Textil- und Bekleidungsindustrie mit 68.000 Unternehmen, 570.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 43 Mrd. Euro noch einen wichtigen volkswirtschaftlichen Stellenwert inne. Auch die über 8000 Schuhunternehmer, die bereits seit drei Jahren empfindliche Produktions- und Exporteinbußen verzeichnen, kämpfen ums Überleben. "Die 8000 Schuhhersteller werden auf 2000 schrumpfen, sollten nicht effiziente Gegenmaßnahmen zum sozialen und wirtschaftlichen Dumping ergriffen werden", sagte Rossano Soldini, Präsident des italienischen Schuhfachverbandes zum STANDARD.

Verbot der Diskriminierung

Mit 1. Jänner 2005 unterliegt nun der internationale Textil- und Bekleidungshandel endgültig den allgemeinen WTO-Regeln, die eine Liberalisierung des Handels und das Verbot der Diskriminierung vorsehen. Damit haben zumindest die WTO-Länder quotenfreien (wenn auch noch nicht zollfreien) Zutritt zu den Abnehmermärkten. Sri Lanka, eines jener Länder, das von der Flutkatastrophe neben Indonesien am stärksten betroffen ist, gilt gemeinsam mit Kambodscha, Bangladesch und einigen afrikanischen Staaten als eines jener Länder, das unter dem endgültigen Auslaufen der 40 Jahre geltenden Textilquoten Ende 2004 am stärksten zu leiden haben wird. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Deutschen Bank Research.

Der Grund, warum die volle Liberalisierung des internationalen Textil- und Bekleidungshandels bestimmte Entwicklungs- und Schwellenländer hart trifft, ist ihre enorme Abhängigkeit von diesem Industriezweig: Nach WTO-Angaben machen die Bekleidungsexporte in Kambodscha 75 Prozent der gesamten Ausfuhren aus, in Bangladesch 70 Prozent, in Sri Lanka 54 Prozent. Jeder Verlust von Marktanteilen hat daher dramatische Folgen. Für die afrikanischen Inselstaaten Madagaskar und Mauritius kommt noch ihre isolierte Lage und ihre Abhängigkeit von importierten Vorprodukten dazu.

Nach dem Ende des Welttextilabkommens ist der einzige verbliebene Standortvorteil dieser Länder, die niedrigsten Löhne der Welt zu haben. Das ist aber nicht genug, meinen die Studienautoren. Sie erwarten, dass sich die großen Textil- und Bekleidungseinkäufer künftig stärker China und Indien - den beiden großen Gewinnern der Liberalisierung - zuwenden werden. (tkb, APA, Der Standard, Printausgabe, 08.01.2005)