Foto: Süddeutsche Bibliothek
Dieser Roman liegt auf halbem Weg zwischen den Blumen des Bösen und dem Theater der Grausamkeit. Er ist ein Liebesroman, aber keiner der flammenden Leidenschaften, keine Leuchtspur der Gefühle, sondern ein Glimmen in dunkler Nacht - ein fahles Verglühen.

Die dumpfe Verbissenheit, mit der Paul Guéret sich nachts an der Hausfassade unterm Fenster der Angèle abarbeitet, die Finger in den Stein verkrallt, sich hochstemmt, zurückfällt, neu gegen die Wand springt, ächzt, die Hände sich blutig reibt, hat man so nirgends sonst gelesen.

Ist das ein wild nagendes Feuer oder eher ein wucherndes Ranken und Erdrosseln? Jedenfalls ist es kein lauschiges Rendezvous im Mondschein: Edle Gefühle sind Greens Helden versagt. Auf dem abschüssigen Gelände ihrer Obsessionen müssen diese sich mit ihrer verworrenen Leere abmühen. Vielleicht beginnt es schon damit, dass Guéret den Namen des Wäschereimädchens Angèle zu wörtlich nimmt. Denn engelhaft rein können Menschen nicht sein.

Wenn Guéret im Speiselokal der Madame Londe beim Mittagstisch erfährt, dass Angèle es mit all den Herren treibt, dass die Tarife am Tresen ausgemacht werden, dass die Sonntage aber wohl schon ausgebucht sind, ist das zu viel. Nicht, dass da eine Welt zusammenbräche - die stand im Leben des in Chanteilles gelandeten Hauslehrers schon lange schief.

Nur treibt die gerade erfahrene Wahrheit den, dem Zärtlichkeit stets zupackend gerät und der als Liebesgeschenk nur einen gestohlenen Ring mitzubringen weiß, in die letzte Konsequenz seines Seins: unbeherrschte Schläge, verstümmelnde Gewalt.

Green war 29, als dieser Roman 1929 erschien, und stand noch in der finsteren Schaffensphase seiner Frühwerke. Es ist nicht die befreiende Gewalt der Ekstase auf den Spuren von Nietzsche zu Bataille, sondern das aus unerfüllter Glückserwartung resultierende Aufbrechen, wie es Freud oder Gide interessierte.

Greens scharfer Realismus, der Figuren und Landschaften wie eine Filmkamera auf Risse, Hohlräume und Abgründe abtastet, taucht die unterschwellige Liebesgeschichte in ein faszinierendes Schwarz-Weiß der Profile und Halbschatten, deren Grautöne in allen Nuancen schimmern. Madame Londe thront über den gebeugten Rücken der Stammgäste. Madame Grosgeorge, die strenge Herrin der Villa Mon Idée, bei der Guéret im Hauslehrerdienst steht, teilt ihrem Sohn Ohrfeigen aus.

Frauen sind bei Julien Green die einschüchternden und nie ganz durchschaubaren Drahtzieherinnen des Geschehens. Sie spielen ihre Spiele mit Guéret selbst dort, wo ihre Schönheit verunstaltet, ihre Macht gebrochen, ihr Ansehen lädiert ist. Dieser Liebesroman im Zeichen der Psychoanalyse, der Perversion, der Moral, der Provinz- und Familienenge bietet kein erotisches Schauern. Er bietet mehr als Erotik: die Spannung stets am Rand der Ermattung, die Schläge erteilt und Sinnlichkeit meint. (DER STANDARD, Printausgabe, 08./09.01.2005)