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Andrea Camilleri:
Das kalte Lächeln des Meeres
Deutsch von Christiane von Bechtolsheim. € 18,40/282 Seiten. edition Lübbe, München 2004

Foto: Archiv
Commissario Montalbano sitzt vor der Glotze und ist wütend. Man zeigt die Machenschaften seiner Genueser Kollegen während des G-8-Gipfels, getürkte Beweise, primitive Rachegelüste und das mit Deckung durch die Vorgesetzten ganz oben. Montalbano geniert sich für seinen Beruf. Er erwägt die Kündigung, auch wenn all seine Kollegen aus Vigata nicht im Entferntesten mit den Schurken in Genua zu vergleichen sind. Dann geht der Commissario im eiskalten Meer schwimmen - und stößt an den Fuß einer schon ziemlich verwesten Wasserleiche. Er verschiebt die Kündigung. Aber sein Gemütszustand heitert sich nicht auf. Im Gegenteil.

Der neue Roman von Andrea Camilleri befasst sich intensiv mit den Zeitläuften. Und die gefallen ihm nicht. Die "Welt, in der falsche Bilanzen neuen Regelungen zufolge nicht als falsch galten, Leute seit Jahren hinter Gitter gehörten, jedoch nicht nur frei herumliefen, sondern obendrein Gesetze erließen oder dem Volk aufzwangen", diese Welt kann Camilleri/Montalbano gestohlen bleiben.

Dann landet wieder einmal ein überfülltes Flüchtlingsboot an der Küste vor Vigata. Montalbano hört sich die offiziellen Phrasen von der Gefährdung des christlichen Abendlandes und die Notwendigkeit entschlossenen Durchgreifens an und ist noch mehr angeekelt von der "anmaßenden Dummheit" der Regierung. Er sieht, wie ein panischer Bub beim Landen ausreißt, und bringt ihn zu seiner wehklagenden Mutter zurück. Die kurze, anrührende Episode beschäftigt ihn. Als eine kurze Meldung im TV vom Unfall eines kleinen, schwarzen Buben berichtet, identifiziert Montalbano das Kind, das offenbar absichtlich überfahren wurde.

Montalbano verschiebt seine Kündigung ein weiteres Mal. Aus Frust schlägt er einen Kleinkriminellen zusammen; seine Nerven liegen blank und verleiten ihn zu einem unprofessionellen Wagnis. Camilleri schreibt seinen Krimi mit handfester Unterstützung durch die bittere Realität. Daten zur illegalen Einwanderung und zum Menschenhandel untermauern seine Geschichte, es ist eine bittere Geschichte über Leute, die es sich richten, und solche, die zugrunde gehen. Das findet er empörend und damit kommt er auch noch auf die Bestsellerlisten. Ein typischer Fall von "Nestbeschmutzung". (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 08./09.01.2005)