Die rätselhafte, gleichwohl hochmoderne Erzählkunst des Italieners Andrea Zanzotto
Ronald Pohl
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Andrea Zanzotto genießt den Ruhm eines "hermetischen" Lyrikers, dessen von vielerlei Redeweisen gespeister Sprachfluss die Gedanken nur stockend mit sich fortträgt. Der in Pieve di Soligo nahe Treviso lebende greise Autor gehört zu jenen Verweigerern, deren Schriften, oftmals gepriesen und sehr viel weniger gelesen, in ihrer Rätselhaftigkeit auf die aktive Mitarbeit des Lesers angewiesen sind.
Zanzottos meditativem Prosastil ist keine Botschaft angeheftet. Die in dem vorliegenden, kostbaren Band gesammelten Schrift-Proben, großteils in den 40er- und frühen 50er-Jahren entstanden, sind zunächst eine norditalienische Heimatkunde. Sie vertiefen sich geduldig in die Anschauung einsamer alter Menschen, deren bloße Existenz von der Widerständigkeit gegen die Wechselfälle von Geschichte und Modernisierung kündet.
Im schmalen Umkreis schiefergrauer Wohnstätten, überragt von unbeweglichen Bergen, führt Zanzotto "Le Signore" vor: Großbürgerstöchter, die über der abweisenden, archaischen Struktur der immer gleichen Jahreszeiten ganz allmählich den Verstand verlieren. Deren verhuschte Leben unter der Echolosigkeit der im übertragenen Sinn froststarrenden Landschaft leiden - während in kleinen, fast unmerklichen Handlungsbewegungen sich die Erinnerungskultur der literarischen Moderne in winzigen Partikeln, in Erwägungen und Unterlassungen der "handelnden" Personen, gespiegelt findet.
Oder eben, in dem bekannten, mehrfachen Wortsinn: "aufgehoben". Zanzotto kümmert sich nicht um "Plots", um die Enträtselung eines Schreibens, das der (nicht nur autobiografischen) Selbstvergewisserung dient.
In einem späteren Prosastück erzählt der Dichter über seine Versuche einer neuen Sesshaftwerdung. Schwer lastet auf ihm der Anspruch, mit den Vertretern eines "neuen", kaufmannsschlauen Italien zu kooperieren - sozusagen seinen Mann zu stellen. "Vorsätze zu einer Behausung" ist das entsprechende Stück betitelt. Es erinnert in seiner behutsamen Protokollierung jener Verformungen, die das jäh emporschießende Wirtschaftswunder seinen Adepten angedeihen lässt, an die Kapitalismuskritik eines Pier Paolo Pasolini, der bekanntlich die Degenerierung "naturwüchsiger" Lebensformen mit dem Aufkommen der Konsumkraft in Verbindung brachte. Dergleichen mag man als wertkonservativ apostrophieren. Zanzottos traumähnlichem Schreiben ist indes jeder auf die Umstürzung irgendwelcher Lebensverhältnisse abzielender Reformeifer fremd: Er macht sich durchlässig für das eigentümliche Licht der Dinge, für die "Myriaden von fadenförmigen Ausläufern im Kopf", die diese rätselhafte Prosa im Innersten zusammenhalten. Denn in der Erzählkunst des Volkes wird die "Wirklichkeit angeritzt": Erst dann ereignet sich der "Bruch mit jeder gesicherten Perspektive". (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 08./09.01.2005)
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