Istanbul - Erst als das Blut unter der Zimmertüre hervorsickerte, will die Familie der 18jährigen Halime ihren "Selbstmord" bemerkt haben - so schildern Eltern und Geschwister jedenfalls den Tod der jungen Frau, die am Vorabend noch fröhlich auf der Hochzeit eines Verwandten getanzt hatte. Die Polizei im südosttürkischen Batman sieht den Fall anders und nahm mehrere Angehörige fest. Weil Halime in (europäischen) Hosen herumlief, soll ihr Bruder sie erschossen haben, um die Familienehre zu beschützen. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine junge Frau in Batman wegen ihrer modernen Kleidung sterben musste.

Doch anders als noch bis vor wenigen Jahren gehen solche Ehrenmorde heute selbst in Batman nicht mehr ungefragt in die Selbstmordstatistik ein. Und selbst junge Männer wehren sich dort mitunter schon gegen den Ehrenauftrag zum Mord.

Als Hauptstadt mysteriöser Mädchen-Selbstmorde galt Batman, eine deprimierende Kleinstadt auf einem Erdölfeld in Südostanatolien, jahrelang in der Türkei. Ungewöhnlich viele EinwohnerInnen des Städtchens nahmen sich jahraus, jahrein das Leben - und anders als sonstwo auf der Welt waren die meisten SelbstmörderInnen junge Frauen. Viel wurde über die Ursache dieser Selbstmordzahlen geschrieben, geforscht und spekuliert, bis der Grund gefunden war: Die Mädchen brachten sich keineswegs selbst um, sie wurden wegen angeblicher Verstöße gegen die Familienehre von ihren Angehörigen getötet, als Selbstmörderinnen gemeldet und von den Behörden ohne weitere Nachforschungen als solche registriert.

Neues Bewusstsein

Diese Zeiten sind vorbei. Keine fünf Jahre ist die Debatte über die Selbstmörderinnen von Batman her, doch seither hat sich viel getan. Überall in Südostanatolien gibt es inzwischen Frauenvereine, die gegen Ehrenmorde eintreten; strengere Gesetze und öffentliche Debatten über die alten Unsitten tragen zum geschärften Bewusstsein bei Justiz und Polizei bei. Als der Bruder von Halime ihren leblosen Körper nun im Krankenhaus ablieferte, nachdem er ihn vom Dach geworfen hatte, gaben sich die ÄrztInnen nicht mit seiner Erklärung zufrieden, die junge Frau habe sich vom Dach gestürzt. Eine Untersuchung förderte die Kugel zutage, mit der sie vor dem Sturz vom Dach erschossen worden war - und erst dann warteten die Angehörigen mit der Geschichte von dem Blut unter der Zimmertüre auf: Halime habe sich mit einer herumliegenden Pistole selbst erschossen.

Zwang zum Ehrenmord

Dass die Frauen von Südostanatolien im Kampf gegen die Ehrenmorde nicht mehr alleine sind, zeigt auch der Fall eines jungen Mannes aus Batman, der sich nach monatelanger Flucht quer durch die Türkei jetzt bei den Behörden in Istanbul meldete und um Schutz ersuchte. Weil seine Ehefrau ihn verlassen hatte, sollte der 28jährige Ersan sie auf Beschluss des Familienrates töten - was er verweigerte. "Entweder du reinigst die Familienehre und tötest sie, oder wir müssen dich töten", drohte sein Vater. Ersan sah keinen anderen Ausweg als die Flucht aus Batman, wird aber von seinem Vater und Bruder verfolgt und muss immer wieder den Ort wechseln. Seit einem Monat hält er sich in Istanbul versteckt und rief nun die Behörden um Hilfe an. Sechs Geschwister hat der junge Mann aus Batman, der vor allem seine zweijährige Tochter schützen will. "Aber kein einziges Familienmitglied hat für mich Partei ergriffen." (APA)