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Frankreichs überregionalen Tageszeitungen steht das Wasser bis zum Hals: "Libération" entscheidet Dienstag über den Einstieg eines Finanzinvestors. Bei "Le Monde" und "Le Figaro" kommen Rüstungskonzerne.

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Beim Neujahrsempfang für Medien kündigte Präsident Jacques Chirac Freitag an, die Pressekonzentration in Frankreich zu untersuchen. Wie viele warnt das unabhängige Observatoire des médias vor "Medienkonzentration in den Händen weniger Konzerne". Zu prüfen hätte Chiracs Kommission dessen persönliche Freunde: Arnaud Lagardère und Serge Dassault, beide Rüstungsmultis, beide nun engagiert in der überregionalen Tagespresse.

"Le Monde" verkaufte das dritte Jahr in Folge weniger, schreibt seit drei Jahren rote Zahlen, zuletzt geschätzte 30 Millionen Euro. Herausgeber Jean-Marie Colombani hat sich bei Zukäufen übernommen. Über die Feiertage zog die Redaktion an eine billigere Pariser Adresse fern des Zentrums. 90 Mitarbeiter sollen "freiwillig" gehen.

Im Jänner begibt sich Colombani auf Betteltournee durch Europa, um bei "El País", "Rizzoli" oder Bertelsmann Investoren zu finden. Aber wohl der Einzige, der die dringend nötigen 50 Millionen Euro lockermachen will, ist der Rüstungs-, Luftfahrts- und Verlagskonzern Lagardère-Hachette. Konzernchef Arnaud Lagardère wird sich mit einer stillen Kapitalbeteiligung nicht zufrieden geben.

Die 1973 von Jean-Paul Sartre mitbegründete "Libération" muss ebenfalls Abstriche von der Selbstverwaltung machen, um dem Teufelskreis aus sinkenden Auflagen und steigenden Verlusten zu entkommen. Dienstag stimmt die Belegschaft darüber ab, ob Edouard de Rothschild aus der bekannten Bankiersfamilie 37 Prozent der Anteile übernehmen kann.

Die Journalisten wirken ähnlich resigniert wie beim konservativen "Figaro", den Luftfahrt- und Rüstungsmagnaten Serge Dassault zuletzt aufkaufte. Dassault ist seit Herbst Senatsabgeordneter der Rechtspartei UMP. Bald ersetzte er den Chefredakteur und wünschte von der Redaktion "gesunde" Ideen. Eine davon: Verzicht auf Berichte über allfällige Schmiergeldzahlungen französischer Rüstungsfirmen.

270 teils hoch angesehene Journalisten kündigten unter Wahrung von Ansprüchen, weil das Blatt seine Richtung gewechselt habe. Auflagenschwund und Verluste hätten Dassault ohnehin zu Kündigungen gezwungen.

Blattkosmetik und Sparmaßnahmen genügen allen dreien nicht mehr. "Le Figaro" will ab Herbst auf das Format des STANDARD verkleinern und seine Optik grundlegend aufpolieren. "Le Monde" denkt ernsthaft daran, in der Früh statt mittags zu erscheinen. Wegen ungünstigerer Zugverbindungen würde "Le Monde" sonst außerhalb von Paris erst am nächsten Tag verkauft. Eine Morgenausgabe von "Le Monde" gefährdete die linksliberale "Libération" existenziell.

Im Gegensatz zur Regionalpresse fehlen den Pariser Blättern Rücklagen für Werbekrisen. Dazu kommen hohe Vertriebskosten, zu tausenden geschlossene Zeitungsstände, zudem die Gratisblätter "Metro" und "20 Minutes" mit zusammen einer Million Exemplaren. Gegen sie und das Internet wirkt die Pariser Presse mit langatmiger Hofberichterstattung und pointierten Meinungen veraltet wie der Boulevardstil von "France Soir". Der deutsche Springer-Verlag erwägt schon einen "Bild"-Ableger für Frankreich.

Die Regierung will ihre Presseförderung um 300 Millionen Euro aufstocken, um das Zeitungssterben aufzuhalten. Von 28 nationalen Titeln nach dem Krieg existieren noch sieben. Das Kulturministerium will jedem 18-Jährigen zwei Wochen Gratisabo einer Tageszeitung finanzieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.01.2005)