Karikatur: DER STANDARD, Veenenbos
Variante eins: Man gebe dem Oppositionsführer bei allem Verständnis für seine anlassgebundene Abneigung gegen "beschwingte Leichtigkeit" freundlich zu verstehen, dass seiner Haltung einer gewissen inneren Logik ermangle und ermuntere ihn zu körperlicher Ertüchtigung.

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Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand mit der Forderung melden würde, heuer den Opernball abzusagen. Auf den ersten Blick scheint es ja auch wirklich unpassend, angesichts der zigtausenden Opfer der Flutwelle in der Staatsoper "beschwingt ein Zeichen der Leichtigkeit zu setzen", wie es Gusenbauer formuliert hat.

Sein Ansinnen wirft nur eine grundsatzliche Frage auf: Müssten wir nicht angesichts der Allgegenwart von Not und Leid in der globalisierten Welt jedes Jahr den Opernball absagen? Vor wenigen Monaten standen noch die Menschen in Darfour im Mittelpunkt, in einzelnen Ländern Afrikas fallen der Seuche Aids ganze Generationen zum Opfer, Anschläge im Irak mit zahlreichen Toten gehören quasi schon zur Tagesordnung, und vor fast genau einem Jahr kostete ein Erdbeben im Iran zehntausenden Menschen das Leben – ohne dass jemand den Ball für zu "leicht" befunden hätte. Und Österreich hat – neben den aktuellen Opferzahlen in der Flutregion – beispielsweise täglich mehr als zwei Verkehrstote zu beklagen und mehr als vier (!) Menschen, die in ihrer Not keinen anderen Ausweg als den Selbstmord sehen.

Wenn man unmittelbar vom Leid betroffen ist, macht es keinen großen Unterschied, wodurch die eigene Not verursacht ist. Da wir Realität aber zunehmend nur mehr mittelbar – via Medien – wahrnehmen, unterliegt das Ausmaß der Betroffenheit erheblichen Schwankungen: Die Opfer von 9/11 haben eine ganz andere Aufmerksamkeit erfahren als die viel größere Anzahl von Verhungernden in afrikanischen Ländern. Die jüngste Flutkatastrophe in Asien erzeugt eine viel höhere Betroffenheit als all das tagtägliche Leid in vielen anderen Regionen der Welt. Unsere Ergriffenheit wird also zunehmend nicht durch die Ereignisse an sich, sondern durch deren mediale Verwertung bestimmt.

Dazu kommt das ungebrochen wirksame Medienprinzip "only bad news are good news": Allabendlich werden wir in der "ZiB" mit Kriegen, Katastrophen, Unfällen konfrontiert. Was im wahrsten Sinne ausgeblendet bleibt, sind all die positiven Dinge, die jeden Tag auch geschehen, aber medial "einfach nichts hergeben": harmonische Beziehungen, befriedigende Arbeitsverhältnisse, Zeichen der Liebe oder Freundschaft. Unsere Welt ist also nicht nur ein Jammertal, sie ist gleichzeitig auch ein Ort positiver Erfahrungen. Diese Gleichzeitigkeit von Glück und Leid erzeugt eine Spannung, die nicht immer leicht auszuhalten ist. Sie ist aber Realität.

No Smoking?

Wer in Sozialberufen tätig ist, erlebt diesen Widerspruch täglich. Als Supervisor begleite ich regelmäßig Einzelpersonen und Teams in der Sozialarbeit und mache dabei die Erfahrung, dass Menschen nur dann fähig sind, anderen auf Dauer zu helfen, wenn sie sich wiederholt gegen die Not des anderen abgrenzen und sich selbst Glückserfahrungen ermöglichen. Hilfe für die von der Flut und anderen Nöten Betroffenen schließt also den Besuch von Konzerten, Kinofilmen und – horribile dictu – Bällen nicht aus.

Herr Gusenbauer, setzen Sie sich bitte als Privatmann mit Spenden und als Politiker mit konstruktiven Vorschlägen für die Linderung des Leids in dieser Welt ein. Und danach werfen Sie sich in den Smoking und gehen bitte getrost zum Opernball. Stellen Sie der Schwere der Not auch ganz bewusst ein "Zeichen der Leichtigkeit" gegenüber. Tanzen Sie, Herr Gusenbauer! (DER STANDARD, Printausgabe, 11.1.2005)