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Volksprotest der Albaner-Minderheit nach dem Tod eines 16-Jährigen. Serbische Grenzer feuerten auf Dashim Hajrulahu

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Graphik: Standard
2005 wird das Entscheidungsjahr für den Kosovo: Der Status soll festgelegt werden. Doch Proteste der Albaner in Südserbien und nationalistische Töne in Belgrad bringen die Region wieder an den Rand der Gewalt.

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Die roten albanischen Fahnen mit dem doppelköpfigen schwarzen Adler sind auf Halbmast gesetzt. Beklemmende Stille umhüllt die südserbische Kleinstadt, als ein Trauermarsch langsam durch das Zentrum zieht. Mit finsteren Mienen schließen sich immer mehr Menschen an, bis es schließlich 20.000 Albaner sein mögen, die dem Sarg des 16-jährigen Dashim Hajrulahu folgen. Serbische Soldaten hatten ihn vergangenen Freitag erschossen, als er die Grenze zu Mazedonien illegal passieren wollte.

Von wegen "illegaler Grenzübergang", der Bub wollte doch nur seine Mutter in Mazedonien besuchen, flüstern einige Menschen empört. Schnell wächst der Zorn der Trauernden. Keine Vorschriften könnten die Ermordung eines Jungen rechtfertigen, hört man an diesem Tag in Presevo.

Weit und breit ist kein serbischer Polizist zu sehen, kein Vertreter der serbischen Regierung wohnt dem Begräbnis auf dem Friedhof im Dorf Oraovica bei. Der Trauermarsch von Sonntag verwandelt sich am Montag in Presevo in eine politische Massendemonstration. Wieder wehen in der milden Mittagssonne albanische Fahnen, aber auch amerikanische Banner sind aufgetaucht. "Kosovo ja, Serbien nein", steht auf vielen Transparenten und "Demokratisches Serbien tötet albanische Kinder". Einige Parolen erinnern an die albanische "Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac" (UCPMB), die aufgrund eines durch die Nato und EU vermittelten Friedensabkommens 2001 aufgelöst worden ist.

Das Presevo-Tal sei ein "Reservat, in dem serbische Soldaten auf Albaner wie auf Freiwild schießen dürfen", erklärt vor den versammelten Menschen der als moderater Politiker bekannte Präsident der Gemeinde Presevo, Riza Halimi. Ein Staat, der sich allein auf die Militärmacht stütze und keinen Rückhalt in der lokalen Bevölkerung habe, der habe auch keine Zukunft.

Neun Forderungen

Vom lauten Beifall begleitet verliest Ragmi Mustafa, der Präsident des Parlaments von Presevo, neun Forderungen aller albanischen Parteien in Südserbien an Belgrad: Stationierung internationaler Friedenstruppen, die die Albaner in Südserbien beschützen sollen; Gründung einer multiethnischen Polizei, Demilitarisierung des Presevo-Tals, Rückzug der serbischen Armee, Polizei und Gendarmerie, Eröffnung neuer Grenzübergänge zu Kosovo und Mazedonien, die von der Polizei und nicht von der Armee bewacht werden; Verkürzung der fünf Kilometer langen Grenzzone, in der sich albanische Äcker befinden; schließlich internationale Vermittlung.

Kommt nicht infrage, war die einstimmige Reaktion in Belgrad am Dienstag. Den albanischen Politikern in Südserbien warf die Regierung vor, ein "tragisches Unglück politisch zu missbrauchen" und die territoriale Integrität Serbiens infrage zu stellen. Das mehrheitlich von Albanern bewohnte Presevo-Tal sei aber eine innenpolitische Angelegenheit Serbiens.

Seit Monaten spekulieren serbische Medien über einen "heißen Frühling" im Kosovo und in Südserbien. Auch einige Politiker warnten, sich auf Quellen der Geheimdienste berufend, dass "albanische Extremisten" neue "Gewaltausbrüche" vorbereiten, wie im März des Vorjahrs im Kosovo, um die Unabhängigkeit der "südserbischen Provinz" zu beschleunigen.

Serbiens mit Abstand stärkste Partei, die ultranationalistische Serbische Radikale Partei, rief bereits alle Serben auf, "Serbien zu verteidigen". Die Lage in Südserbien habe sich schon so zugespitzt, meinen auch weniger parteiische Beobachter, dass nun auch ein kleiner Vorfall eine Eskalation der Gewalt auslösen könnte. (DER STANDARD, Printausabe, 12.1.2004)