Weit reicht der irdische Magnetschild in den Weltraum. Er soll den Planeten vor Sonnenwind schützen. Immer wieder schlüpfen energiereiche Teilchen von der Sonne durch den Schutzschild und treffen die Erde. Forscher suchen nach Frühwarnsystemen.

Foto: IWF
Mehr als eine Million Tonnen Materie verliert die Sonne in jeder Sekunde. Von der Sonne gelangt dabei ein permanenter Plasmastrom elektrisch geladener Teilchen in den interplanetaren Raum. Dieser Sonnenwind trifft mit Geschwindigkeiten von bis zu 1000 Kilometern pro Sekunde auf die Erde. Das irdische Magnetfeld erstreckt sich weit in den Weltraum hinaus und schützt unseren Planeten wie ein unsichtbarer Käfig weitestgehend vor den schädlichen Auswirkungen dieses Teilchenbombardements. Trotz des Schutzes schaffen es die Plasmaströme der Sonne aber immer wieder, in die Erdmagnetosphäre einzudringen. Das führt zu einer Fülle höchst komplizierter elektrodynamischer Erscheinungen. Felder und Teilchen dringen sogar bis in die Lufthülle vor und verursachen nicht nur farbenprächtige Naturschauspiele, wie beispielsweise Polarlichter. Sie sind auch verantwortlich für Störungen des Funkverkehrs, für Stromausfälle und Zusammenbrüche von Hochspannungsnetzen. Bei dem schwersten kosmischen Sturm des 20. Jhdts. am 13. und 14. März 1989 kam es sogar zum Ausfall einer Chip-Produktionsstätte in den USA und zu Spannungsschwankungen in Unterseekabeln am Grunde von Atlantik und Pazifik.

Da sich der elfjährige Sonnenzyklus ständig wiederholt, werden derartige geomagnetische Stürme als Folge ungewöhnlich heftiger Sonnenaktivität auch in Zukunft immer wieder auftreten. Aber mit steigender weltweiter Technisierung dürften die Schäden global zunehmen. Möglicherweise beeinflussen die kosmischen Vorgänge auch das irdische Klima. Es wird deshalb immer dringender, solche Ereignisse frühzeitig zu erkennen, um Vorsichtsmaßnahmen einleiten zu können. Eine Weltraumwetter-Vorhersage ist aber nur dann möglich, wenn man den gesamten Ablauf während eines Sonnensturms versteht. Um diese solar-terrestrischen Zusammenhänge erkennen zu können, werden im Rahmen des International Solar-Terrestrial Physics Program seit 1992 von den Raumfahrtagenturen Europas, Japans, Russlands und der USA an verschiedenen Stellen in- und außerhalb der Erdmagnetosphäre Raumsonden platziert. Eine Sonderstellung nimmt dabei das Esa-Projekt "Cluster" ein: Die vier absolut baugleichen Forschungssatelliten namens Salsa, Samba, Tango und Rumba mit je elf Feld- und Teilcheninstrumenten erfassen die dynamischen Vorgänge in der Erdmagnetosphäre.

Das Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der vom Wissenschaftsministerium mitfinanzierten Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist ein wichtiger Partner beim Cluster-Projekt. Die Auswertung der Daten durch Wolfgang Baumjohann und sein Team am Grazer IWF erlaubt erstmals eine detaillierte Vorstellung von der Dynamik der Gase und Magnetfelder im erdnahen Weltraum. Die Forschungsarbeiten, die die Strömungen von ionisierten Gasen im so genannten Schweif des Erdmagnetfeldes in Richtung Erde beschreiben, geben Aufschluss über die Größenordnung und die typische räumliche Verteilung des Masse-, Energie und Magnetflusses im Schweif des Erdmagnetfeldes. Die Grazer Gruppe gehört zu den wenigen weltweit, die Instrumente zur Untersuchung von Weltraummagnetfeldern entwickeln, bauen und deren Daten auswerten.

Erst kürzlich hat Cluster vielleicht ein 17 Jahre altes Rätsel gelöst: Die Satelliten beobachteten riesige Gaswirbel mit einem Durchmesser von 40.000 Kilometern in der Magnetosphäre der Erde, durch die geladene Teilchen aus dem Sonnenwind den Schutzschild der Erde überwinden können. Satellitenmessungen hatten bereits 1987 gezeigt, dass sich mehr geladene Teilchen in einer Grenzschicht der Magnetosphäre sammeln, wenn die Felder parallel liegen, als wenn sie entgegengesetzt gerichtet sind. Warum das so ist, war bisher rätselhaft. Cluster beobachtete jetzt erstmals, dass gewaltige Strudel an den Stellen entstehen, an denen der Sonnenwind seitlich an der Erde vorbeistreicht - also an der Tag-Nacht-Grenze. Solche Verwirbelungen, so genannte Kelvin-Helmholtz-Instabilitäten, sind typisch für zwei Strömungen, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten nebeneinander her laufen. Die Wellen im Meer, die vom Wind erzeugt werden, sind ein typisches Beispiel. Wenn sich die Wellen zu Wirbeln verstärken, werden sie Kelvins Katzenauge genannt. Die vier Cluster-Satelliten registrierten nun genau solche Dichtevariationen in dem ionisierten Gas der Magnetosphäre, wie sie für ein solches Katzenauge zu erwarten sind. Ob durch die gewaltigen Strudel tatsächlich große Mengen von Teilchen aus dem Sonnenwind in die Erdmagnetosphäre gesaugt werden, ist bis jetzt allerdings noch nicht ganz klar.(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15./16. 1. 2005)