Wien – Mit 24 Jahren könnte einem Schlimmeres passieren, als gegenwärtig international zum neuen Wunderkind des Songwriting ausgerufen zu werden. Zweifellos zählt Conor Oberst aus Omaha, Nebraska, neben dem spinnerten Adam Green aus New York oder Devendra Banhart aus San Francisco oder Ryan Adams aus North Carolina zu den imposantesten jungen Männern mit akustischer Gitarre, wenn es um eines geht: der Geschichte der sensibel gestimmten Popmusik auch noch im Jahr 43 nach dem ersten Album von Bob Dylan Gewichtiges, Neues, Relevantes abzuringen.
Conor Oberst veröffentlicht nächste Woche gleich zwei neue, voneinander völlig unabhängige Alben. Zum einen versucht sich der schmächtige, kleine Rappelkopf nach seiner an Leonard Cohens große Zeiten (Songs of Love and Hate) angelehnten Bigband- und Ausdrucksfolk-Gesellenarbeit mit dem ausufernden und auch auf den darauf enthaltenen Herzensüberschwang hindeuteten Titel "Lifted or the Story Is in the Soil, Keep Your Ear to the Ground" im "klassischen Fach". Immerhin bieten die Songs seines neuen Albums "I'm Wide Awake, It's Morning" auf Basis einer schrammelnden Westerngitarre nicht nur mit Gästinnen wie Emmylou Harris bestens im Auf- und gleichzeitigem Zusammenbruch verortete zukünftige Klassiker der immer währenden Unbehaustheit.
"Make some noise!"
Mit gehetzter Nasenbärkopfstimme wird hier unter anderem über einem von Johnny Cash bekannten Schnellzugrhythmus zu wimmernder Steel Guitar und gestopfter Mariachi-Trompete darüber verhandelt, dass der Weg das Ziel ist. Am Ende der Straße, diese Erkenntnis wird Menschen, die älter sind als der ausführende Künstler, nicht gänzlich unerwartet treffen, wartet dann zwar nicht das dezidiert Gute. Alte Seelen aber, wie es hier einmal in einem Song über die Protestmärsche gegen George W. Bush in New York heißt, kennen ohnehin keinen Unterschied zwischen wild sein und wild gewesen sein.
Die programmatische Bekennerhymne dieses ersten von zwei Alben kommt ganz am Schluss. Einen zugleich pessimistischen wie zweckoptimistisch in die Zukunft verweisenden, mit sich beständig überschlagender Stimme deklamierten Song wie "Road to Joy" hat man lange nicht mehr gehört: "I could have been a famous singer, if I had someone elses voice. But failures always sounded better, let's fuck it up – and make some noise!" Die altehrwürdige hohe Kunst des Scheiterns im Jahr 2005.
"Digital Ash in a Digital Urn", das zweite neue Album von Conor Oberst, führt entschieden über die dann doch eng gesteckten Grenzen des traditionellen Songwriting hinaus. Das wird gemeinsam mit befreundeten Musikern seiner Community unternommen. Die Rede ist vom in Omaha, Nebraska, ansässigen Label Saddle Creek, zu dem Bands wie Azure Ray, The Faint, Now It's Overhead oder The Good Life gehören.
Dort veröffentlichte Oberst seit Ende der 90er Jahre nicht nur bis heute sechs Alben der Bright Eyes. Dort erschien 2002 mit seiner Postpunk- Band Desaparecidos und "Read Music/Speak Spanish" auch eines der gültigsten Statements zum Postpunk im Stile der alten Säulenheiligen Hüsker Dü.
"Digital Ash In A Digital Urn" zeigt auch, dass Conor Oberst keineswegs einzig der Tradition verhaftet ist. Mit Elektronik und Samples schlägt Oberst darauf eine Brücke von Bob Dylan oder Leonard Cohen herauf zur Weiterentwicklung gegenwärtig moderner Neudeutungen des Synthie-Pop der frühen 80er Jahre.
Die flauschigen Synthesizer-Teppiche, hektischen Computer-Beats und melancholischen Melodien ergänzen sich hübsch mit Oberst atemlos jagender Stimme. Gerade die in den USA erfolgreiche Single "Take It Easy (Love Nothing)" beweist, dass es bei den Bright Eyes keineswegs nur um Rück-, sondern immer auch um Ausblick geht. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.01.2005)