Wien - Der französische Philosoph Alain Finkielkraut (55) hat vor neuen Formen des Antisemitismus gewarnt. "Man muss eine Verbindung zwischen Antisemitismus und dem herstellen, was ich den Hass auf Israel nenne", erklärte Finkielkraut in einem Interview.

"Jene, die heute Israel hassen, sind keine Antisemiten im strengen Sinn des Wortes, sie sind Anhänger von Humanität und Demokratie. Gerade mit diesem Ideal der Gleichheit aller menschlichen Wesen bricht Israel in ihren Augen", so der Philosoph, der am Montag in der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien einen Vortrag unter dem Titel "Der Hass auf Israel" gehalten hatte.

Israel sei eine Nation, die, so glaube man, auf ethnischen Kriterien gründe und die gleichzeitig das palästinensische Volk unterdrücke. "Anders gesagt: Der Hass auf Israel speist sich aus dem Antirassismus. Das ist das große Paradox unserer Zeit - antirassistischer Antisemitismus", formulierte Finkielkraut, der zu Frankreichs einflussreichsten Intellektuellen zählt und der an der Eliteschule Ecole Polytechnique unterrichtet.

Es herrsche ein großes Unverständnis zwischen den Linken und den Juden, fügte Finkielkraut hinzu. "Heute wird den Juden als Opfern alles zugestanden, als Nation nichts. Daraus resultiert eine höchst eigenartige Situation, besonders in Frankreich." Auf der einen Seite gebe es eine große Wachsamkeit gegenüber dem klassischen Antisemitismus, zugleich ereifere man sich aber über die "zionistische Arroganz". "Der antirassistische Antisemitismus feiert heute Juden, die Israel mit den Nazis gleichsetzen."

Was das Leben der Juden so heikel mache, sei das zusätzliche Auftauchen eines brutalen islamischen Antisemitismus. "Heute ist es in Frankreich sehr schwierig, überhaupt die Shoa zu unterrichten. Es gibt immer mehr Schüler, die ihre Ablehnung mit abfälligen Bemerkungen oder Scherzen ausdrücken", klagte Finkielkraut. Auch in der Intelligenzia habe der islamische Antisemitismus insofern ein gewisses Echo ausgelöst, "als ein Teil davon nicht aufhört, Israels 'Rassismus' anzugreifen".

"Was ich mir von europäischen Medien und Regierungen erwarte, ist der Versuch eines gerechten Diskurses (...) Die Rolle europäischer Journalisten wäre, beiden Seiten einen Spiegel vorzuhalten. In Frankreich geschieht das den Palästinensern gegenüber nicht", kritisierte Finkielkraut. (APA)