München/Frankfurt/Berlin - Mit den deutlichen Hinweisen, dass der Iran mit dem Beginn der zweiten Amtsperiode von Präsident George W. Bush in den Mittelpunkt der US-Außenpolitik rücken wird, beschäftigen sich am Mittwoch zahlreiche europäische Pressekommentatoren:

Süddeutsche Zeitung

"Bush hat seine zweite Amtszeit noch nicht angetreten, da ahnt die Welt bereits, was sie von seiner Außenpolitik in den nächsten Jahren zu erwarten hat: Iran, Iran, Iran. Das extrem komplizierte Verhältnis zwischen den USA und dem Regime in Teheran rückt ins Zentrum der amerikanischen Außenpolitik, was nach den Erfahrungen aus der ersten Amtsperiode des Präsidenten zunächst erschaudern lässt. (...) Die Irak-Erfahrung lehrt: So etwas riecht nach Krieg. (...) Heute muss man die präsidentiellen Worte noch im Dorf lassen: Wenn Bush einen Militäreinsatz gegen Iran 'nicht ausschließt', dann hat er noch lange keinen Krieg befohlen. Im Gegenteil: Schlösse er ihn aus, hätte er sich auf einen Schlag aller politischen Optionen beraubt. Diese Optionen müssen nun schnell diskutiert werden, ehe wieder eine unheilvolle Eigendynamik wie vor dem Irak-Krieg entsteht. Diesmal sind die Europäer mit im Boot, weil sie glücklicherweise tief verstrickt sind in den Fall."

Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Iran wird in der zweiten Amtszeit von Präsident Bush ein zentrales außen- und sicherheitspolitisches Thema bleiben - sowohl mit Blick auf das Großprojekt der Befriedung des Nahen Ostens wie auch im Kampf gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Zugleich fehlt in Washington wie in Brüssel und in den europäischen Hauptstädten einzeln oder gemeinsam eine konsistente Iran-Politik. Die bisher praktizierte Arbeitsteilung zwischen den EU-Staaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland als 'good cop' (guter Polizist) und den Vereinigten Staaten als 'bad cop' (böser Polizist) scheint nur Teheran genutzt zu haben. Ohne nennenswertes Zugeständnis Teherans sind die Europäer in Handelsgespräche mit Iran eingetreten. Mitarbeiter der Regierung und unabhängige Fachleute in Washington machen keinen Hehl aus ihrer Ansicht, dass die Europäer viel zu früh das Zuckerbrot angeboten haben, ohne überhaupt ernsthaft mit der Peitsche gedroht zu haben, was man Washington überlassen habe.

Der Tagesspiegel, Berlin

"Man kann davon ausgehen, dass sowohl Israel wie die USA mögliche Einsatzpläne gegen iranische Nuklearanlagen entwickeln. Und Bush meint es schon so, wenn er sagt, er halte sich alle Optionen offen. (...) Die USA zeigen den Mullahs ihre Ungeduld, damit diese in den Gesprächen mit den Europäern einlenken. Nur ist es eben so, dass man der Bush-Regierung nach den Irak-Lügen alles zutraut. Deshalb reagiert Europa, reagieren wir auf Nachrichten über die Vorbereitung von Militärschlägen so empfindlich. Selbst wenn die europäische Initiative scheitern sollte, gibt es andere Wege, die Mullahs zur Raison zu bringen - Sanktionen und einen Wirtschaftsboykott zum Beispiel. Zumal sich auch konservative US-Strategen bewusst sind, dass Teherans Reaktion auf einen Angriff schwer zu kalkulieren ist."

taz, Berlin

"Während sich ein Teil der US-Militärs inzwischen ernsthaft Gedanken über eine Exit-Strategie für den Irak macht, hat deren Chef (Verteidigungsminister Donald) Rumsfeld seine Kommandotruppen heimlich angewiesen, den Krieg gegen den Iran vorzubereiten (...), frei nach dem Motto: Wenn wir unsere Probleme im Irak und in Afghanistan nicht lösen können, schlagen wir einfach noch mehr um uns. Dabei gleicht dieser angekündigte Krieg auf nahezu unheimliche Weise dem Irak-Szenario. (...) Die Versuche der EU, das Problem diplomatisch zu lösen, werden in den Wind geschlagen. Dann wird die Mär verbreitet, dass das Regime ohnehin durch begrenzte Schläge schnell zusammenbrechen wird. Das Ergebnis wird noch schlimmer sein als im Irak: Der Region stünde ein politisch-militärischer Tsunami bevor. Die Neocons fühlen sich nach Bushs Wiederwahl sicher. Auf ihre Vernunft kann man nicht mehr hoffen, nur auf die materiellen Grenzen ihrer strategischen Träume. Der Iran kann auf zwei Dinge hoffen: Dass die Unruhen im Irak noch ewig weitergehen und dass sich die US-Amerikaner nicht noch einmal von der Machbarkeit eines Präventivschlages überzeugen lassen."

"Stuttgarter Zeitung"

"Nach der Tragödie des Irak-Krieges jetzt der Wahnsinn eines Feldzuges gegen den Iran? Führt der amerikanische Präsident die westliche Welt geradewegs in einen unsinnigen Kampf der Kulturen? (...) Der Wahlerfolg hat ihn in seinem Ziel bestärkt, in den nächsten vier Jahren den endgültigen Sieg über den Terrorismus zu erringen. Bush sieht zu Recht seine Irak-Politik durch seine Wähler legitimiert. Das ermuntert ihn, sich neue Ziele zu setzen. (...) In Wahrheit kämpft die Weltmacht aber um ihre eigene Glaubwürdigkeit. Die militärischen Vorbereitungen eines Schlages unterstreichen die Ernsthaftigkeit der Drohungen an die Adresse Teherans. Denn bisher haben die Mullahs allzu oft Versprechungen gebrochen, die sie den verhandlungswilligen Europäern gemacht haben. Andererseits wissen die geistlichen Herrscher im Iran vom amerikanischen Desaster im benachbarten Irak. Das mag sie in ihrer Halsstarrigkeit bestärken." (APA/dpa)