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Empfahl Lockerung der Folterbestimmungen, kann sich nicht mehr erinnern: Bush-Berater Alberto Gonzalez.

Foto: Reuters/Reed
Unter den Neubesetzungen im Bush-Kabinett ist er die umstrittenste: Alberto Gonzalez, Bagatellisierer der Genfer Konvention und designierter Justizminister. Gegen den ersten Latino in diesem Rang wollen die Demokraten nicht opponieren.

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Es war, man kann es nicht anders bezeichnen, "eine deprimierende Übung darin, Antworten und Verantwortung auszuweichen" (New York Times). Natürlich sei er gegen Folter, sagte der designierte US-Justizminister Alberto Gonzalez, und selbstverständlich werde er die Einhaltung der Gesetze überwachen.

Aber, so erfuhr das Senatskomitee, das ihn Anfang Januar anhörte: Für Abu Ghraib, für die mittlerweile gerichtlich geahndeten Folterungen und für ähnliche Übergriffe auch in anderen von Amerikanern geleiteten Gefängnissen, insbesondere für die Vorkommnisse in der Bucht von Guantánamo, für all das könne er ebenso wenig wie alle anderen, die mit den Skandalen zu tun hatten. Dabei hat er selber vor genau zwei Jahren schon die Bestimmungen der Genfer Konvention betreffend Folter in einem Memo an Bush als "kurios" und "veraltet" bezeichnet.

(Nach der Verurteilung von Charles Graner wurden Stimmen laut, die Vorgesetzten bis hinauf zu Verteidigungsminister Rumsfeld zur Verantwortung zu ziehen. Gonzalez' Name ist in diesem Zusammenhang noch nicht gefallen.)

An seine Rolle bei der Formulierung von Vorschriften, die praktisch alles außer Tod und Organverlust als zulässig bei Verhören gelten ließen, könne er sich nicht genau erinnern, sagte Präsidenten-Berater Gonzalez dem Komitee - obwohl er zwei Monate Zeit hatte, sich auf die Hearings vorzubereiten.

Mit so einer Performance bestätige Gonzalez die Annahme, dass er ein absolut ungeeigneter Mann für das höchste Justizamt des Landes ist, befand nicht nur die Times. Doch er wird den Job in der Regierung Bush 2 bekommen. Denn die Demokraten können ihre Zustimmung nicht einmal moralisch-symbolisch verweigern.

Schlaue Volte

Der Opposition sind dank einer schlauen Volte der Republikaner wieder einmal die Hände gebunden. Alberto Gonzalez ist Hispanic, und zwar einer, der "es" geschafft hat. Die Unterstützung der Demokraten durch die überwiegend der Unterschicht angehörigen Einwanderer aus Lateinamerika ist schwächer geworden. Die Partei kann beziehungsweise will es sich nicht leisten, diesen Mann nicht zu bestätigen.

Vom rechtlichen Standpunkt aus ist die Situation bereits seit mehr als drei Jahren verfahren, seit Vizepräsident Cheney fünf Tage nach 9/11 erklärt hat, dass man gegen einen "gesichtslosen Feind" auch im Dunkeln arbeiten müsse: "Vieles muss in aller Stille geschehen, ohne jede Diskussion, unter Verwendung von Quellen und Methoden, die unseren Geheimdiensten zugänglich sind."

Das war ein Blankoscheck für alle Arten illegaler Aktivitäten, die kurz danach in Afghanistan, später auf Kuba und im Irak einsetzten; auch für das "Outsourcing" (Time Magazine) der Folter an Staaten, selbige routinemäßig betreiben - eine offenbar regelmäßig angewandte Methode der CIA, die ebenfalls nach der Genfer Konvention verboten ist.

Kleineres Übel

Es war zugleich eine Bankrotterklärung der bisher mit Menschenrechten argumentierenden US-Regierung. Wenn die Flutkatastrophe im Indischen Ozean, zynisch gesprochen, den US-Streitkräften Gelegenheit gibt, ein ganz anderes Bild von Uncle Sam zu vermitteln (und, nebenbei gesagt, dort zu helfen, wo die steinreichen islamischen Vettern der arabischen Halbinsel sich auffallend zurückhalten), dann hält das den Verfall des Ansehens der USA zwar auf, aber wahrscheinlich nur kurzfristig.

Innenpolitisch werden sich die Folgen des Tsunami ebenso wenig in eine großzügigere Entwicklungshilfe ummünzen lassen, wie die Skandale um Inhaftierungs- und Befragungspraktiken ausreichen werden, Gonzalez' Ministerschaft zu verhindern. Kritiker hat er unter republikanischen wie demokratischen Senatoren. Doch selbst die skeptischeren, etwa Charles Schumer (Demokrat aus New York), haben durchblicken lassen, dass sie nicht gegen seine Ernennung zum Justizminister stimmen werden.

Dahinter steckt - abgesehen von der numerischen Aussichtslosigkeit, die Ministerschaft zu verhindern - ein innenpolitisches Kalkül. Die Demokraten wollen Schlimmeres verhindern, nämlich den nächsten Schritt in Gonzalez' Karriere, über den bereits laut nachgedacht wird: seine Ernennung zu einem der Mitglieder des Obersten Gerichtshofs, sobald eine Stelle frei wird (was in den nächsten Jahren mit großer Sicherheit passieren wird).

Das wäre in den Augen des liberalen, "blauen" Teils der US-Öffentlichkeit die noch größere Katastrophe, weiß man doch, welchen Einfluss die Entscheidungen des Supreme Court auf die soziale und politische Verfassung der Vereinigten Staaten haben.

Folterlabor

Zudem werden gerade Weichen gestellt, die Bürgerrechtsorganisationen mindestens ebenso beunruhigen: Aus dem Post-9/11-Provisorium Guantánamo soll eine Dauereinrichtung werden, nicht nur als physischer Ort - der wäre austauschbar mit anderen Zonen außerhalb der USA -, sondern vor allem als System unbegrenzter Inhaftierung. Die Zustände sind jetzt schon derart unwürdig einer zivilisierten Nation, dass Rotkreuz-Chef Jakob Kellenberger die übliche Verschwiegenheit der Organisation im vergangenen Dezember aufgegeben hat und mit seinem Missmut an die Öffentlichkeit getreten ist - was ihm heftige Kritik vonseiten der Bush-Regierung eingetragen hat.

Ob das Camp auf Kuba vor allem als Experimentieranstalt für effektive Verhörmethoden geführt wird (wie Lewis Lapham im STANDARD-Interview am Montag mutmaßte) oder als Prototyp für geheim gehaltene Parallelaktionen des Pentagons: Die Gefahr wird jeden Tag realer, "dass die Vereinigten Staaten die Menschenrechte aus den Augen verlieren" (Herald Tribune). Die Gleichung könnte dann lauten: Folter ist Gerechtigkeit - ein Albtraum, 20 Jahre nach "1984". (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2005)