Wolfgang Ketterle, Nobelpreisträger und auf Einsteins Spuren, erklärte seine Forschungen hart am Nullpunkt.

Foto: Fischer/Der Standard
Wien - Im Rahmen der "Einstein Lectures" lud die Österreichische Akademie der Wissenschaften am Mittwochabend zu einem Vortrag des Physikers Wolfgang Ketterle über "Die kälteste Materie im Universum". Die Aussicht, dem Physik-Nobelpreisträger 2001 zuzuhören, bewirkte einen Andrang, der zwei große Säle der Akademie sprengte.

Mittelbarer Anlass war 1905, das "annus mirabilis" der Naturwissenschaften. Es zeitigte die 100-Jahr-Feiern zu Einsteins damaligen Leistungen und das UN-Jahr der Physik, im Kielwasser dieser Hausse segelt die laufende Debatte in Österreich über Eliteausbildung. Darum forderten einander auch der ÖAW-Chef Herbert Mang, Ministerin Elisabeth Gehrer, Helmut Rauch, Chef der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft (die miteingeladen hatte) und Anton Zeilinger, Physiker und Moderator des Abends, gegenseitig zu mehr Forschung beziehungsweise mehr Förderung auf, bevor Ketterle antreten konnte, dem Publikum "neue Physik zu zeigen".

Arbeit an Erzeugung ultraniedriger Temperaturen

Der aus Heidelberg gebürtige, am MIT forschende Quantenphysiker arbeitet an der Erzeugung von ultraniedrigen Temperaturen - nur mehr Millionstel Grade vom absoluten Nullpunkt entfernt - und untersucht deren Auswirkungen auf atomare Materiezustände. "Wir haben Kühlschränke gebaut, aber nicht der normalen Art, sondern mit Laser- und Verdampfungskühlmethoden an Atomen, die in magnetischen Feldern eingeschlossen sind" - ein enormer Aufwand, der schließlich mehrere wichtige Ergebnisse zeitigte.

Zum einen fanden Ketterle und Mitarbeiter das von Einstein und dem indischen Physiker Bose postulierte Phänomen bestätigt, dass Atome bei niedrigsten Temperaturen energielos werden und "im Gleichschritt marschieren": das Bose-Einstein-Kondensat (BEC). In vereinfachter Form vermittelte der Physiker dem Auditorium die Begeisterung für den Beweis: kleine dunkle Wolken auf dem Bildschirm.

Weiters eröffnet der BEC-Nachweis Möglichkeiten, die Ketterle und Co derzeit erforschen, nämlich extrem kalte Atome neu zusammenzusetzen - "wie Lego-Steine" - und aus ihnen neue Materie zu konstruieren. Vieles sei dabei noch ungeklärt, und es war an diesem Abend auch nur schwer vermittelbar.

Sehr wohl vermitteln konnte "Mr Cool" (so Mang) einen dritten ihm wichtigen Aspekt der physikalischen Grenzerfahrungen. "Es ist die Schönheit solcher Entdeckungen, die Freude, wie sie auf der Nobel-Medaille abgebildet ist: dass Scientia der Natura den Schleier vom Gesicht holt." (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 21.1.2005)