Der Tsunami hat einmal mehr Blogs - Onlinejournale jeder Art - auch im deutschen Sprachraum ins Licht der Öffentlichkeit gebracht. Manche der privaten Videos und Bilder von der Flutwelle waren zuerst im Netz zu sehen, ehe sie von TV-Sendern und Medien aufgegriffen wurden. Natürlich musste auch ein wenig professionelle Empörung in den Medien sein, die den angeblich neuen Voyeurismus von privater Seite im Moment des menschlichen Elends anprangerten. Aber da wäre viel vor der eigenen Tür zu kehren: Auch der Profi hält "drauf", wenn es entsetzlich wird, damit Bilder von Wasserleichen den Kauf von Magazinen ankurbeln.

Tratsch jeder Art

Selbst gemachter Content liegt quasi in den Genen des Internet, seit Wissenschafter entdeckten, dass das Arpanet (der Urgroßvater des heutigen Internet) nicht nur zu Steuerung von Atomwaffen benutzt werden konnte, sondern für Tratsch jeder Art. Seither wird gechattet und gepostet, was das Zeug hält. Die Kombination von technologischer Weiterentwicklung (von billigen Digitalkameras bis zu einfachen Redaktionssystemen) und Massenzuzug ins Internet hat dem eine neue Qualität gegeben: jeder User ein potenzieller Journalist oder - in Hinblick auf die Tsunami-Katastrophe - jeder Augenzeuge ein potenzieller Reporter.

Müll

Natürlich entsteht dabei auch viel Müll, zumindest aus der Sicht einer größeren Leserschaft. Aber das Internet hält als Deponie menschlicher Absonderungen viel aus, ohne damit irgendjemanden zu belasten: Denn anders als Spam, der uns ohne wirkungsvolle Möglichkeit zur Abwehr in die Mailbox gedrückt wird, kann man Blogs und andere Veröffentlichungen wunderbar ignorieren - oder eben auf das tägliche Lesemenü setzen, wenn man an ihnen Gefallen findet. Auch dabei helfen neuere Techniken wie RSS, die das Einsammeln neuer Einträge erleichtern.

"Taxi Orange"

Content im Eigenbau ist das authentischere "Taxi Orange" und hat das Potenzial, das Demokratisierungsversprechen der "neuen Medien" einzulösen. Natürlich müssen wir alle dazulernen: Welchen Bloggern trauen wir, wenn es um Nachrichten geht? Welche privaten Dinge stellen wir ins Netz, ohne bösen Zeitgenossen eine Möglichkeit zu geben, uns und anderen zu schaden? In Schweden sperrte man Vermisstenlisten wieder, nachdem Einbrecher die Gelegenheit verwaister Wohnungen schamlos ausgenutzt hatten. Aber unterm Strich ist das Heimwerkertum eine große Bereicherung unserer Medienkultur - und Spaß macht es obendrein.(Helmut Spudich, DER STANDARD Rondo, 21. Jänner 2005)