Bild nicht mehr verfügbar.

Er steht auf keiner Liste, dominiert aber den Wahlkampf im Irak: Großayatollah Ali al-Sistani.

Foto: AP
Nicht nur die katastrophale Sicherheitslage – bei einem Anschlag vor einer schiitischen Moschee in Bagdad starben am Freitag wieder mindestens ein Dutzend Menschen – macht den irakischen Wahlkampf schwierig. Sunniten und Schiiten sind auch untereinander zerstritten.

***

Bagdad/Wien – Die Töne im irakischen Wahlkampf sind in den vergangenen Tagen merklich schärfer geworden. Nicht nur zwischen Wahlbefürwortern, Wahlboykotteuren und jenen, die zwar mitmachen, aber wegen der katastrophalen Sicherheitslage eigentlich für eine Verschiebung der Wahlen sind, gibt es Konflikte.

Zuletzt krachte es mächtig zwischen den beiden großen arabischen Wahlblöcken, der Iraqiya des Interimsministerpräsidenten Iyad Allawi und der United Iraqi Alliance (UIA): Sie ringen um die Führung im Lande, aus einer dieser Gruppen wird der nächste Regierungschef kommen.

Während die Iraqiya – wie ja auch schon Allawis eigene Partei, der Iraqi National Accord (INA) – vor allem als Sammelbecken für Nationalisten sowie persönliche Anhänger des "starken Mannes" Allawi gilt, so haben sich in der UIA vor allem die religiösen schiitischen Gruppierungen organisiert.

Dass vor wenigen Tagen Ayatollah Ali Sistani, der alle Iraker – ausdrücklich genannt auch Frauen und Nichtmuslime – zum Gang an die Urne aufgefordert hat, öffentlich für die UIA Partei ergriffen hat, wird als Zeichen der Nervosität der religiösen Schiiten gewertet: Sie wissen, dass die Amerikaner Allawi gerne als Premier behalten würden und befürchten Manipulationen.

Allawis Kandidaten scheinen auch über jede Menge Bargeld zu verfügen. Aber eine Wahlempfehlung Sistanis ist genauso viel wert: Iraqiya- Kandidaten warnen seither umso eindringlicher vor einer religiösen Machtübernahme im Irak, sollte die UIA gewinnen.

Die Wahlen stehen ja allein schon wegen der Marginalisierung der Sunniten im Geruch des Konfessionalismus, wobei aber die Fronten keineswegs so klar sind: Auch unter den Schiiten gibt es Bruchlinien.

Ein Beispiel: Der radikale Schiitenführer Muktada al-Sadr macht offiziell nicht bei den Wahlen mit, einige seiner Leute sind aber auf der UIA-Liste platziert. Sein Onkel, Hussein al- Sadr, ein Geistlicher, gilt als proamerikanisch und unterstützt die Liste Allawis.

Bei einem Attentatsversuch auf ihn wurde sein Sicherheitschef getötet und ein Neffe verletzt, und Hussein al-Sadr beschuldigte daraufhin öffentlich die schiitisch-religiösen Parteien der UIA, hinter dem Anschlag zu stecken: "Ihr werdet sehen, was los ist, wenn die erst einmal an die Macht kommen", so die Botschaft des Ayatollahs an die Iraker und Irakerinnen.

Eine Affäre anderer Art ist um Verteidigungsminister Hazem Shaalan ausgebrochen. Shaalan, säkularer Schiite und eigentlich ein Allawi- Mann, ist erst kürzlich zur Liste des sunnitischen Präsidenten Ghazi al-Yawir übergewechselt. Der frühere Pentagon-Liebling und schiitische Paradesäkulare der Amerikaner, Ahmed Chalabi, der selbst längst auf die religiöse Karte setzt und den 10. Listenplatz in der UIA hat, hat nun Dokumente veröffentlicht, die belegen sollen, dass Shaalan bis 2003 für Saddam Hussein gearbeitet hat.

Dahinter verbergen sich gleich zwei Konflikte: Shaalan ist rabiat anti-iranisch, die UIA hingegen wird populistisch oft als "iranische" Liste bezeichnet. Aber Chalabis Attacken gegen den Minister Shaalan richten sich auch gegen Regierungschef Iyad Allawi (mit dem Chalabi übrigens verwandt ist). Chalabi ist ein scharfer Gegner von Allawis Versuchen, gemäßigte – ob diese Bezeichnung gerechtfertigt ist, ist eben nicht immer ganz klar – Baathisten in das irakische öffentliche Leben zurückzuholen. Aber Allawi wäre ohne die Stimmen aus diesem Umkreis chancenlos. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.1.2005)