Bagdad/Wien - Die Frauen sind diejenige Gruppe im Irak, die das "Nie wieder" zum Motto des Wiederaufbaus der Gesellschaft gemacht haben, sagt Shirouk al-Abayachi zum STANDARD. Die Männer seien viel zu verstrickt in alle möglichen Vorgänge. Trotz der Situation im Irak, die Abayachi als sehr schlecht beschreibt, könnten sich die Frauen nun ausdrücken: Und sie wollten "etwas Neues", auch diejenigen, die unter Saddam Hussein systemerhaltend waren.

Abayachi (46), aus kommunistischer schiitischer Familie, bis 2003 im Exil in Wien, ist Fünftgereihte auf der Wahlliste "Watani" ("national"), manchmal auch "Hanna"-Liste genannt, nach der erstgereihten Hanna Adwar. Die irakische Christin ist Leiterin der Organisation al-Amal, die sich um humanitäre und zivilgesellschaftliche Projekte kümmert. Abayachi arbeitet mit ihr zusammen und für das Irakische Frauennetzwerk, eine Dachorganisation für 90 Frauen-NGOs.

Den Frauen wird in der neuen Nationalversammlung laut Interimsverfassung ein Viertel der Sitze zugestanden, um das zu erreichen, sollten ein Drittel aller Listenplätze von Frauen besetzt sein. Auf der Watani-Liste ist das der Fall, sie ist auch sonst sehr durchmischt: nach Konfessionen, politischen und beruflichen Hintergründen der Kandidat/innen, nach Regionen. Dass eine Liste von der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) wegen zu geringer Frauenquote beanstandet wurde, ist nicht bekannt, was nicht viel aussagt: Das Vertrauen in die IEC hält sich in Grenzen, sie wird von Exbaathisten dominiert, so Abayachi.

Die politischen Positionen der kritisch realistischen, aber gleichzeitig immer optimistischen Shirouk al-Abayachi haben sich in den vergangenen Monaten gewandelt, und das erscheint typisch für das, was im Irak passiert ist: Im Sommer unterstützte sie noch das harte Vorgehen von Ministerpräsident Iyad Allawi gegen die Sadr-Rebellen in Najaf und war gegen einen sofortigen Abzug der US-Truppen. Heute ist der erste Punkt ihres Wahlprogramms ein "Zeitplan für den Abzug" - Watani war laut ihrer Aussage die erste Liste mit dieser Forderung.

Von Allawi hat sie sich distanziert, die Folgen der Falluja-Offensive - 350.000 Flüchtlinge leben unter katastrophalen Bedingungen in Lagern - haben den Irak schwer erschüttert. Allawi konnte kein eigenes Profil den USA gegenüber gewinnen, sagt Abayachi. Trotzdem, und das gehört zu den irakischen Paradoxa, hofft sie irgendwie, dass seine Regierung bleibt: damit nicht die religiösen Schiiten die Macht übernehmen.

Wobei für sie die Ausbreitung des Kopftuches im Irak nichts mit politischen Tendenzen zu tun hat: "Viele Kopftuchträgerinnen wollen ein säkulares System." Die schiitischen Frauen erlebt sie als besonders aktiv, in Najaf gebe es heute gut tausend Polizeibeamtinnen.

Der Wahlkampf, berichtet Abayachi, findet aus Sicherheitsgründen in geschlossenen Räumen statt, ihre Gruppe habe sich der Printmedien bedient, um die Profile der Kandidat/innen und ihr politisches Programm - 1. Zeitplan für US-Abzug, 2. gegen Korruption, 3. gegen Konfessionalismus und Ethnisierung, 4. gegen extreme Gewalt und kollektive Bestrafung (wie in Falluja, Anm.) - unter die Leute zu bringen. In den Straßen geklebte Plakate und Fotos sind nur etwas für die Mutigen, offene Versammlungen gibt es nicht. Das Fernsehen wird von den großen Listen dominiert. Zur Sicherheitslage sagt Abayachi noch: "Wir haben nicht nur vor den Terroristen Angst, sondern auch vor den Amerikanern." (DER STANDARD, Print, 24.1.2005)