Alfred Worms "Streitgespräch"-Buch mit Jörg Haider ist ein Coup, weil Worm im richtigen Moment da war, als Haider nach fünf Jahren Schwarz-Blau darüber reden wollte, warum diese Koalition der FPÖ und Haider persönlich nicht gut bekommen ist. Haider musste ja längst darüber nachdenken, was da schief gelaufen ist, und er musste es irgendwie erklären. Das tut er bei Worm auf seine typische Weise: Schuld ist jemand anderer. Konkret Schüssel, der "unsere Leute zu Tode umarmt"; dem gegenüber er, Haider, eine "zu faire" Haltung bewiesen habe; und der einen "stärker ausgeprägten Killerinstinkt" habe. Als Haider selbst, anscheinend.

In der Tat hat Haider der Killerinstinkt oder, politischer formuliert, der Wille zur endgültigen, wirklichen Macht immer dann verlassen, wenn er seinem Ziel ganz nahe schien. Es scheint sogar, dass er dann halb- oder unbewusst eine kontraproduktive Handlung setzte, meist eine Sympathieerklärung für NS-Inhalte, um nur ja nicht die letzte Entscheidung zur Macht treffen zu müssen.

Haider ist kein Nazi. Er denkt und redet zwar immer wieder wie ein Nazi. Aber die Nazis waren unerbittlich, brutal, kompromisslos in ihrem Zugriff auf die Macht. Haider hingegen spielte mit dem Gedanken. Die Nazis hätten sich niemals mit der zweiten Geige zufrieden gegeben, wie Haider beim Koalitionsabschluss 2000. Ein Hitler steuerte die Macht, die volle Macht, unbeirrbar, monomanisch an.

Haider stimmte schon in den Vorgesprächen mit Schüssel zu, dass die ÖVP selbstverständlich den Kanzler stellen werde. In Wahrheit hatte Haider Angst - vor der Verantwortung, vor der "internationalen Meinung", aber am meisten vor sich selbst. Der Widerstand, der ihm von seinen österreichischen und ausländischen Kritikern entgegenschlug, war sehr wohl effektiv. Der desaströse Verlauf der Goodwilltour durch Europa, auf die ihn Schüssel noch vor dem Koalitionsabschluss im Winter 1999/2000 geschickt hatte, dann die EU-Sanktionen, zeigten ihm, womit er zu rechnen hätte.

Deshalb zog er auf allen Linien zurück, statt stur die Kanzlerschaft anzupeilen (und sei es beim nächsten Mal, wie ihm Dichand, taktisch richtig, riet). Außerdem hat er Selbsteinsicht. Er kennt seine delikate Psyche, seine Stimmungsschwankungen, seine Kasperliaden, mit denen er sich immer wieder aus dem Machtspiel wegblödelt. Ein Hitler hätte nie ein grinsendes "Bin schon weg, bin wieder da"-Spiel getrieben.

Haben wir langjährigen Haider-Kritiker also die Gefahr überschätzt? Haben wir seit fast 20 Jahren, seit Haiders Putsch an die FPÖ-Spitze 1986, überflüssigerweise gegen ihn gekämpft? Natürlich nicht. Denn seine Inhalte, seine Substanz waren und sind schwerst demokratiegefährdend. Das konnte man keinem Politiker, noch dazu einem, der von zehn auf 27 Prozent stieg, durchgehen lassen. Ganz abgesehen davon, dass ihn irgendeine politische Unglückskonstellation doch an die Macht tragen hätte können.

Vor allem genügt ja das, was man als Haiders Vermächtnis bezeichnen könnte. Sein persönlicher Moment ist vorbei. Aber seine Inhalte sind noch da - und in die Regierungspolitik aufgegangen. Mehr noch, das halbe Land hat seine Wesenselemente mehr oder weniger internalisiert: Fremdenfeindlichkeit, NS-Verharmlosung, Hasspolitik. Haider hat 20 Jahre lang unser politisches Leben vergiftet. Er behinderte 20 Jahre unsere demokratische Entwicklung. Dagegen war kein Wort zu viel. Es wird dauern, das wieder halbwegs herauszukriegen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.1.2005)