Das Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos und das Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre matchen sich erneut um die Vorherrschaft in der Globalisierungsdebatte. Nach der Flutkatastrophe in Südasien ertönt auch aus Davos der Ruf nach Solidarität.

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Davos/Porto Alegre – Längst ist das Weltwirtschaftsforum (WEF) mehr als ein Forum der Weltwirtschaft. Das alljährliche Treffen im Schweizer Alpen-Nobelort Davos dient als Tummelplatz der internationalen Politik- und Wirtschafts-Elite und als Basar des informellen Ideenaustauschs über Politik, Wirtschaft, Umwelt und Soziales.

In diesem Jahr lautet das übergreifende Motto des am Mittwoch beginnenden Treffens "Weltweite Solidarität".

Sicher ein Signal nach der Flutkatastrophe in Südasien, vielleicht auch ein Signal in Richtung Porto Alegre: In der südbrasilianischen Stadt treffen sich zeitgleich mehr als 100.000 Globalisierungskritiker zur Gegenveranstaltung, dem mittlerweile fünften Weltsozialforum. Das Generalmotto in Porto Alegre klingt Globalisierungskritikern bekannt in den Ohren: "Eine andere Welt ist möglich."

Eröffnet wird das unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen stattfindende Treffen in Davos vom britischen Premier Tony Blair, der sich in seiner Rede der Klimaproblematik widmen will. Ein weiteres Signal aus Davos: Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac wird am Mittwoch ein Plädoyer für Abgaben auf internationale Finanztransaktionen zugunsten armer Länder halten. Die Initiative wird von etwa hundert Staaten unterstützt – die USA sind wenig überraschend dagegen.

Hoher Besuch aus Washington bleibt in diesem Jahr aus. Während sich 2004 US-Vizepräsident Dick Cheney unter die Staatenlenker und Wirtschaftsbosse mischte, werden die USA diesmal lediglich von Senatoren vertreten sein, darunter der unterlegene demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry. Unter den großen Wirtschaftsbossen sind Microsoft-Gründer Bill Gates sowie die Chefs von Hewlett-Packard und Dell.

Gern schmückt sich Davos mit den politischen Wegmarken, die während des Weltwirtschaftsforums gesetzt wurden. In diesem Jahr steht der Nahost-Konflikt im Vordergrund. Der erst am Sonntag vereidigte ukrainische Staatspräsident Viktor Juschtschenko wird die Gelegenheit zum Händeschütteln ebenso nutzen wie der palästinensische Präsident Mahmud Abbas. Auch Israels Außenminister Silvan Shalom nimmt am WEF teil – Gelegenheit zu einer Begegnung zwischen der neuen Palästinenserspitze und Israel.

Einen Spagat zwischen dem Treffen der Staatslenker in Davos und dem Gegentreffen in Porto Alegre macht auch in diesem Jahr der brasilianische Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva. Er wird zunächst mit mehreren Ministern am Weltsozialforum teilnehmen, bevor er in die Schweizer Alpen fliegt.

2003, kurz nach seinem Amtsantritt, war der linksgerichtete Lula in Porto Alegre noch als neue Hoffnung für die Armen gefeiert worden. Inzwischen wird er wegen seiner zunehmend konservativen Wirtschafts- und Sparpolitik von Globalisierungskritikern gerügt, dafür in Davos aber umso lieber gesehen.

Während in Porto Alegre Leute wie der Befreiungstheologe Leonardo Boff konkrete internationale Kampagnen anstoßen wollen, etwa gegen die Wasserprivatisierung oder gegen Kriege, findet in Davos eine WTO-Mini-Ministerkonferenz statt. Dort werden neue Impulse für die globale Handels- und Dienstleistungsliberalisierung erhofft – das Schreckgespenst der Globalisierungskritiker schlechthin. (dil, miba, AFP, sda, Reuters/DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2005)