Auch in Deutschland hat ein Gedenkjahr begonnen - wenngleich beim Nachbarn die Anlässe zum Feiern eher rar sind und mehr das Gedenken im Vordergrund steht. 60 Jahre Auschwitz-Befreiung diese Woche und 60 Jahre Kriegsende im Mai sind für die deutschen Politiker die markantesten Termine in diesem Jahr. Den ersten schwierigen Auftritt hat Bundeskanzler Gerhard Schröder am Dienstag absolviert, als er vor Auschwitz-Überlebenden und der ganzen Nation an die Befreiung des KZs am 27. Jänner 1945 erinnerte.

Wichtige Feierstunden nimmt Schröder ansonsten gerne zum Anlass, auch über die neue Rolle Deutschlands zu sprechen: Natürlich wisse das Land um seine historische Verantwortung, sagt er dann meist und weist ein paar Sätze später darauf hin, dass Deutschland - trotz seiner Vergangenheit - heute mit gutem Grund selbstbewusst in Europa, ja sogar auf der ganzen Weltbühne auftreten dürfe.

Nichts davon war bei der gestrigen Auschwitz-Rede zu bemerken. Schröder hat sich wohl ganz bewusst zurückgenommen, denn ihm war klar, dass er sich auf sehr dünnem Eis bewegt. Er bekundete Scham angesichts der Millionen von Ermordeten und sprach von einer "Bürde" für die Deutschen. Sie würden diese mit "Trauer" tragen, aber auch mit "Verantwortung".

Seinem Versprechen, der Verlockung des Vergessens und des Verdrängens nicht zu erliegen, hatte er ein Bekenntnis vorangestellt, das gerade in diesen Tagen besonders wichtig ist: dass sich Deutschland der Auseinandersetzung mit Neonazis und Altnazis stellen werde. Er hat die NPD und deren unerträglichen Auftritt im sächsischen Landtag nicht direkt angesprochen, aber jeder wusste, wer gemeint war. Der deutsche Kanzler hat diese schwierige Rede gut gemeistert. Eines muss ihm allerdings klar sein: Gerade diese Ansage darf nicht, wie so viele Festreden, ohne Folgen bleiben. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2005)