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Hermann Göring bei den Nürnberger Prozessen.

Foto: REUTERS/HO/National Archives

Los Angeles – Ein früherer Gefreiter der US-Armee will nach eigenem Bekenntnis Hermann Göring die Zyankalipille zugesteckt haben, mit der der Luftwaffenchef des Nazi-Regimes im Gefängnis von Nürnberg Selbstmord beging. Wie die Zeitung "Los Angeles Times" am Montag berichtete, will der heute 78-jährige Herbert Lee Stivers aber nichts davon gewusst haben, dass es sich bei der Pille, die in einem Füllfederhalter versteckt gewesen sei, giftig war. Er habe einen Botendienst für eine Frau getan, die er auf der Straße in Nürnberg kennengelernt habe. Ein Freund dieser Frau habe ihm gesagt, dass es sich um ein Medikament für Göring handle. "Ich denke, sie hat mich benutzt," sagte Stivers.

Der Reichsfeldmarschall war der ranghöchste Nazi, der vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg verurteilt wurde. Nachdem er zum Tod durch Erhängen verurteilt wurde, beging Göring am 15. Oktober 1946 – wenige Stunden vor seiner geplanten Exekution – Selbstmord. Seither beschäftigt Historiker die Frage, wie Göring in seiner scharf bewachten Zelle in den Besitz des Giftes gelangen konnte. Göring hatte in seinem Abschiedsbrief angegeben, die Zykankalipille während seines gesamten elfmonatigen Prozesses bei sich gehabt zu haben. Diese Version wurde zwar von einer Untersuchung der US-Armee bestätigt, doch später von vielen Historikern bezweifelt.

Historiker halten neue Version für plausibel

Auch Stivers bestreitet diese Version und ist überzeugt, dass es die von ihm überbrachte Pille war, die Göring benutzte. Mehrere Historiker sagten der "Los Angeles Times", die Geschichte des pensionierten Stahlarbeiters aus Kalifornien höre sich plausibel an. Der damals 19-jährige war zu einer Eskorte abgestellt, die angeklagte Nazis während der Prozesse auf ihren Wegen vom Gefängnis zum Gericht und zurück begleitete.

Stivers sagte, er habe die Bekanntschaft der unbekannten jungen Frau auf der Straße gemacht. Sie habe mit ihm geflirtet und ihm später "einem Freund" vorgestellt. Auf dessen Bitte hin habe er zunächst zwei Mal in einem Füllfederhalter versteckte Botschaften an Göring weitergeleitet. Beim dritten Mal habe der Mann eine Kapsel in den Stift getan. "Er sagte, es sei Medizin, und wenn sie wirkt und Göring sich besser fühlen würde, dass sie ihm dann mehr schicken würden", sagte Stivers der "Los Angeles Times". Nachdem er seinen Botengang erfüllt habe, habe er der Frau den Füllfederhalter zurückgebracht, sie danach aber nie mehr wieder gesehen.

Er hätte diesen Auftrag nie ausgeführt, wenn er gewusst hätte, dass es sich um Gift handelte, sagte Stivers. Sein fast 60-jähriges Schweigen begründete er damit, dass er Angst gehabt habe, unter Anklage gestellt zu werden. Schließlich habe ihn aber seine Tochter überzeugt, mit der Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, damit er sein Gewissen erleichtern könne. Stivers' Tat ist allerdings schon seit langem verjährt. (APA)