Worin gleichen sich die Krisen im Kosovo und in Bosnien?
Am 8. April werden, laut Dayton, in Bosnien-Herzegowina Gemeindewahlen abgehalten. Allgemein wird erwartet, dass noch einmal die nationalistischen Parteien siegen werden, wenn auch sehr geschwächt. Im Kosovo spitzt sich die politische, die sicherheitsmäßige, die psychologische Krise von Tag zu Tag zu.
Der Westen hat den Krieg in Bosnien-Herzegowina, nach einer Nato-Luftintervention gegen serbische Stützpunkte, mit dem Dayton-Abkommen beendet. Der Westen hat mithilfe der militärischen Intervention der Nato im Kosovo auch den zweiten Krieg beendet, jedoch . . .
Revision von Dayton?
Das Dayton-Abkommen birgt in seinen Bestimmungen für die Zukunft dieses Staates nach dem Krieg einen Pferdefuß: Die muslimischen Bosnier werden darin behandelt, als hätten sie den Krieg verloren. Das heißt in der politischen Sprache, sie waren "mit der Realität" konfrontiert. Für die Bosnier, die als Muslime von Serben und Kroaten im Krieg vertrieben worden waren, bleibt, weil Dayton das ethnische Prinzip der Aggressoren übernommen hat, nur eine Enklave. Sie wird umso kleiner, je mehr zurückgekehrte - und zurückgeschickte - Flüchtlinge aus den res- pektiven Gastländern in ihrer eigentlichen Heimat nicht willkommen sind. Damit entstand auch die täglich wachsende Gefahr, dass dieses reduzierte Bosnien ein islamischer Staat wird.
In den letzten Monaten mehren sich Proteststimmen unter den Intellektuellen, die jedoch auch zum Teil die Meinungen der breiten Bevölkerung repräsentieren: "Wir wollen einen säkularen Staat, in dem alle Bürger gleichberechtigt sind, in dem es keine ethnischen Trennungen gibt." Sie verlangen statt der Dayton-Verfassung, die bisher nicht vom bosnisch-herzegowinischen Parlament ratifiziert wurde, eine neue, von innen her artikulierte Verfassung, die genau diese Ziele eines Rechtsstaates verfolgt.
Eine andere Stimme, die Dr. Haris Silajdzic', einem der höchsten staatlichen Funktionäre, selbst Muslim, ist bis in die westlichen politischen Zentren zu hören: Dayton müsse revidiert werden. Erstens, weil es in wesentlichen Punkten der demokratischen Entwicklung des gemeinsamen Staates zuwiderläuft, und zweitens, weil das Abkommen als solches wertlos geworden ist, seit der kroatische Präsident Tudjman als einer der drei Signatare tot ist und Serbiens Milosevic als international gesuchter Kriegsverbrecher kein Garant für irgendetwas ist. Silajdzic' sehr sachliche, aber harte Argumentation hat auf internationaler Ebene zwar eine gewisse Bestürzung hervorgerufen, aber - so sagen die westlichen Vertreter in Bosnien-Herzegowina - die Vorbereitungen für diese Wahlen sind zu weit fortgeschritten, um sie jetzt aufhalten zu können.
Das klingt wie eine bürokratische und nicht wie eine politische Argumentation.
Zu Kosovo: Dort hat - da hilft alles Herumreden nichts - die militärische Intervention erst einmal das individuelle Leid der kollektiv vertriebenen Albaner vergrößert. Das verhinderte nicht die Dankbarkeit der Kosovaren, als der Spuk vorüber war und sie in ihre (zerstörten) Häuser und Dörfer zurückkehren konnten. Sie glaubten zu diesem Zeitpunkt - und auch später noch - , dass die Intervention aus Gründen der Humanität und der Gerechtigkeit stattgefunden hatte, auch dass Serbien damit jeden moralischen Anspruch auf diese Region verspielt hätte. Auch viele von uns dachten so - denn wir wissen aus uralter Erfahrung: Wo ein politischer Wille ist, gibt es auch einen juristischen Weg. Dieser Weg konnte nur ein Ziel haben: ein unabhängiges Kosovo.
Keine Partnerschaft
Nur langsam begriffen die Albaner, dass sie nicht nur eine internationale Besatzungsmacht erhalten hatten, sondern, dass sie, wie das von westlichen Vertretern im Kosovo ausdrücklich artikuliert wurde, nichts zu sagen hatten in ihrer geschundenen Heimat. Zugegeben, die nicht selten tödliche Uneinigkeit innerhalb der albanischen Führungszentren verhinderte einerseits, dass die KFOR- und UNMIK-Vertreter kompetente und legitimierte Partner als Verhandler hatten, und andererseits blieb den westlichen Vertretern nichts anderes übrig, als selbst zu handeln.
Wenn es nur so wäre, hätte noch vieles gut oder zumindest besser gehen können. Die internationalen Vertreter im Kosovo - und in den darüber schwebenden Gremien in den USA und Europa - setzten den Lieblingsbegriff "multiethnisches Zusammenleben" ein wie ein Prokrustesbett.
Als hätten sie die Feindschaft zwischen der seit vielen Jahren kaum zehnprozentigen serbischen Bevölkerung und den Albanern nicht zur Kenntnis genommen, verlangten sie auf allen Ebenen der Administration eine 25-prozentige Beteiligung von Serben. In die von vornherein gefährdete Stadt Kosovska Mitrovica mit ihren Rohstoff- und Energiereserven im Hinterland setzte man das französische KFOR-Kontingent und ordnete ihm dann auch noch russische Einheiten zu. Als hätte man nicht gewusst, dass diese beiden von ihren Regierungen serbenfreundlich eingestimmt werden.
Es gibt noch eine Reihe solcher Fehlentscheidungen - gemeinsam ist ihnen: Die albanische Bevölkerung hat jedes Vertrauen in die "guten" Absichten der internationalen Vertreter verloren. Stattdessen fühlt man sich verraten und verkauft und glaubt Gerüchten, es bestehe ein Geheimabkommen über die Teilung Kosovos zwischen Serben, Franzosen und Russen. Wie soll angesichts solcher ungeklärter Absichten und Zustände eine demokratische Entwicklung vonstatten gehen können?
Christine von Kohl ist Publizistin und Leiterin des "Kulturni Centar" in Wien.