Zürich/Berlin/Frankfurt/Paris/Rom - Die Ermordung des libanesischen Spitzenpolitikers Rafik Hariri bei einem verheerenden Autobombenanschlag in Beirut steht am Dienstag im Vordergrund zahlreicher europäischer Pressekommentare:

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"Neue Zürcher Zeitung":

"Der mörderische Anschlag traf Beirut wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Hariri neigte in den letzten Monaten der antisyrischen Opposition zu (...) Obwohl er seine Ablehnung der Politik der Beiruter Anhänger Syriens nie bis zur offenen Konfrontation trieb, war er im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Frühling zu einer Galionsfigur der libanesischen Eigenständigkeit geworden. (...) Für die Wahlen plante er ein spektakuläres Comeback. Aus dieser politischen Konfrontation ergab sich der nahe liegende Verdacht einer syrienfreundlichen Täterschaft. Dies schließt aber nicht aus, dass auch völlig andere Täter sich dahinter verstecken könnten. (...) Was die Bewohner des Zedernlandes wohl am schmerzlichsten trifft, ist die Ermordung einer echten - wenn auch umstrittenen Symbolfigur für die Wiedergeburt der libanesischen Tatkraft, Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit nach dem Bürgerkrieg."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Hariri war im Herbst von seinem Posten (als Ministerpräsident) zurückgetreten, weil er die Intrigen der Syrer und der mit ihnen verbundenen libanesischen Kräfte leid war. Damaskus hatte Druck ausgeübt und eine Verlängerung der Amtsperiode des ihm genehmen Staatspräsidenten Emile Lahoud erreicht. Seither war Hariri mehr und mehr zum Brennpunkt der antisyrischen Kräfte im Libanon geworden, und er hatte auch wieder Aspirationen auf das Amt des Regierungschefs zu erkennen gegeben. Mit Hariri verliert der Libanon jenen Mann, der in den neunziger Jahren maßgeblich den Wiederaufbau des bürgerkriegszerstörten Landes vorangetrieben hatte. Der Mord an Hariri und vielen anderen Menschen mitten in Beirut ist ein schwerer Rückschlag im Kampf gegen den nahöstlichen Terrorismus."

Handelsblatt, Düsseldorf

"Hariri, der während seiner Amtszeit eng mit Syrien kooperiert hatte, stand danach der Einmischung durch den Nachbarn kritischer gegenüber. Dennoch gehörte er nicht zur ersten Reihe der Syrien-kritischen Politiker. Daher halten es viele Beobachter für unwahrscheinlich, dass Syrien hinter dem Anschlag steht. Die Auswirkungen des Anschlags auf den Libanon und die Region sind schwer vorauszusagen. Das Land hat mit Hariri einen seiner besten Kontakte zum Internationalen Währungsfonds und anderen internationalen Finanzinstituten verloren."

taz, Berlin "Auch wenn der syrische Präsident das Attentat nicht selbst in Auftrag gegeben haben sollte: Der Finger zeigt auf Damaskus oder in Richtung der prosyrischen Kreise im Libanon, deren politische Existenzberechtigung von der Rückendeckung des Paten in Damaskus abhängt und die diesem deswegen als 'fünfte Kolonne' dienen. (...) Einen Mann seiner Statur, seines Engagements und seiner Durchsetzungskraft hat der Libanon schon lange nicht - vielleicht nie - gehabt, und es ist keiner bekannt, der Hariri auch nur annähernd das Wasser reichen könnte. So ungewöhnlich Hariri freilich auch war, so libanesisch ist doch auch sein Tod: Die größten und wichtigsten Politiker des Landes wurden umgebracht. Und nicht zum ersten Mal fällt der Blick dabei auf Damaskus." Liberation, Paris

"Wenn man sich fragt, wem dieses Verbrechen nützt, kommt als erste Antwort sehr wohl Syrien. Sicherlich gibt es dafür keinen Beweis, und es kann auch andere Schuldige geben. Syriens Präsident Bashar al-Assad hat größtes Interesse daran, die von Frankreich verlangte internationale Untersuchung des Beiruter Anschlags zu akzeptieren. Es geht ihm dabei darum, sich reinzuwaschen und von der internationalen Gemeinschaft nicht mit einem Bann belegt zu werden. Und dies umso mehr, weil sich Frankreichs Präsident Jacques Chirac durch den Tod seines sehr engen Freundes Hariri auch getroffen fühlen kann."

"The Guardian":

"Hariris Ermordung erinnert daran, dass der Libanon hinter einer Fassade der Stabilität höchst anfällig ist. Die Antwort aus der Gerüchteküche auf die alte 'cui bono'-Frage (wem nützt es) lautete, dass das Opfer ein Kritiker der kontroversen Rolle Syriens im Libanon war. Die Verurteilung des Anschlags durch den syrischen Präsidenten lässt Damaskus - oder seine loyalen libanesischen Freunde - nicht automatisch unverdächtig erscheinen. (...)"

"The New York Times":

"Das Attentat auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Hariri ist ein politisches Verbrechen erster Güte. Das Attentat zielte auf einen der integersten libanesischen Politiker, auf den inneren Frieden des Landes und auf seine Hoffnungen, sich von syrischer Vorherrschaft zu befreien. Die beste Reaktion darauf wäre zunehmender Druck der internationalen Gemeinschaft auf Syrien, seine Truppen aus dem Libanon zurückzuziehen (...) Die Ermordung Hariris könnte libanesische Kritiker Syriens vorübergehend verstummen lassen. Längerfristig sollte das Attentat jedoch zu neuen Bestrebungen führen, Syrien zum Rückzug aus dem Libanon zu bewegen. (...)"

"La Repubblica" (Rom):

"Das Blutbad von Beirut hat die Büchse der Pandora geöffnet, und alle politischen und wirtschaftlichen Übel bloßgestellt, die hinter den schillernden Lichtern der Superluxushotels und den gedämpften der Nachtclubs der Geschäftemacher und Intriganten brüten: Der Libanon ist ein Land, das von außen und nicht von innen wiederaufgebaut wurde, mit instabilen Institutionen, mit gespenstischen Schulden und im Innern mit einem stummen Konflikt zwischen einigen westlichen Mächten und Syrien, das das Land nicht nur dominiert, sondern in all diesen Jahren geradezu geführt und dabei eines der korruptesten Orte der Welt daraus gemacht hat."

"El Mundo" (Madrid):

"Alles deutet darauf hin, dass hinter dem Anschlag von Beirut nicht ein ominöses Terrornetz steht, sondern ein ganzer Staat. Syrien hat den Libanon seit dem Ende des Bürgerkriegs einer eisernen Vorherrschaft unterstellt. Hariri stand mit Damaskus in Konflikt; denn er war gegen die Verfassungsreform, die dem syrischen Strohmann Emile Lahoud zu einer neuen Amtszeit als Staatspräsident verhalf. Mit seinen guten Beziehungen zum Westen war Hariri dem finsteren Regime in Damaskus ein Dorn im Auge. Syrien scheint nicht an einem Frieden im Nahen Osten gelegen zu sein, sondern daran, die Geduld Israels und der USA auf eine Probe zu stellen."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Nach dem Attentat richtet sich der Blick automatisch nach Syrien. Nur: Kann Syrien an einem Terrorakt in seinem Satellitenstaat interessiert sein? Syrien steht unter amerikanischem und israelischem 'Anti-Terror-Druck'. Wegen der Unterstützung militanter Palästinenser, wegen der Unterstützung der Hisbollah, wegen der angeblichen Hilfe für die Rebellen im Irak. In den letzten Monaten hat sich parallel dazu der internationale Druck erhöht, endlich die syrischen Truppen abzuziehen aus dem Libanon. (...) Möglich, dass irgendwer in Damaskus die Nerven verloren hat und der anti-syrischen Opposition ein unmissverständliches Signal geben wollte. Möglich nach nahöstlicher Denkart auch, dass jemand den angeschlagenen Syrern schaden wollte - indem er den Mordverdacht auf sie lenkt. Nicht undenkbar aber auch zuletzt, dass der Tod des schwerreichen Hariri mit Politik gar nichts zu tun hat. Er mag Konkurrenten gehabt haben, die zu allen Mitteln greifen." (APA/AFP/dpa)