PRO:
Integriert ist, wer versteht

Von Conrad Seidl
 
Ist es zu viel verlangt, wenn man von jemandem, der ein Auto lenken will, erst einmal fordert, in die Fahrschule zu gehen und dort die Regeln zu lernen? Natürlich nicht: Jeder sieht ein, dass man die Regeln und ihre Anwendung lernen muss - und dass man geprüft wird, bevor man den Führerschein bekommt.

Sonst kann man sich ins Verkehrssystem eben nicht integrieren - und dem, der Autofahren gelernt hat, nützt das letztlich selbst am meisten. Wenn derselbe Lernaufwand von Menschen verlangt wird, die sich nicht ins Verkehrssystem, sondern in das System unserer Gesellschaft integrieren wollen, wird sofort vermutet, dass so eine Forderung ja nur darauf abzielt, die armen Migrantinnen und Migranten zu schikanieren.

Das Gegenteil ist der Fall: Nur wer die Sprache seiner neuen Heimat beherrscht, hat Chancen auf beruflichen und sozialen Aufstieg. Und auf Integration: Denn die Gesellschaft, in die sich die neu nach Österreich gekommenen Menschen integrieren sollen, um womöglich eines Tages gute österreichische Staatsbürger zu werden, drückt ihre Ideen und Gefühle eben in deutscher Sprache aus. Diese Ideen und Gefühle annehmen oder verwerfen zu können setzt voraus, dass man sie überhaupt versteht. Das wissen natürlich auch die meisten Menschen, die sich hier niederlassen wollen. Wer es bei uns zu etwas bringen will, wer eines Tages vielleicht einer von uns werden will, lernt unsere Sprache gern und freiwillig.

Denen, die die Chance für das eigene Fortkommen noch nicht erkannt haben, kann ein gewisser Druck helfen. Und jene, die unbelehrbar sind, haben in unserem Land so wenig verloren wie Menschen ohne Führerschein hinter einem Lenkrad.

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CONTRA:
Pauken für das Getto

Von Lisa Nimmervoll

Die Ausländer wollen ja gar nicht Deutsch lernen. Und statt sich zu integrieren, rotten sie sich lieber in Gettos zusammen, um dort in ihrer Sprache miteinander zu reden, auf dass sie der gemeine Österreicher nur ja nicht verstehen kann. Dabei würde er oder sie doch so gerne den multikulturellen, weltoffenen Dialog leben. Aber sie wollen ja grad zu Fleiß nicht, die Ausländer.

Das ist der unsympathische Subtext des - just im Rahmen der bildungspolitischen Aufräumarbeiten nach dem schulischen Pisa-Unfall - geäußerten Plans der Regierung, Migrantenmütter und ihre Kinder zum Deutschlernen zwingen zu wollen. Die Betonung auf dem Zwangsaspekt erzeugt automatisch den Hautgout der latenten Ausländerfeindlichkeit. Denn niemand wird abstreiten, dass Sprache ein zentrales Integrationsmittel ist und dass alles getan werden muss, damit Ausländer, die hier leben, sich die Landessprache aneignen können. Aber Integration ist nicht nur eine Bringschuld der Migranten. Integration ist mehr, ist ein wechselseitiger Prozess, der auch die Mehrheitsbevölkerung fordert. Dieser Aspekt fehlt beim Zwangsvorschlag. Es ist ein Einbahnstraßen-Modell. Österreicher ausgenommen.

Vielleicht sollte mit der Frage begonnen werden, warum so viele Ausländer nur mangelhaft Deutsch können, in miesesten Wohnanlagen hausen, eine deutlich schlechtere Bildungspartizipation haben, in der Berufs- und Sozialhierarchie bis auf ein paar privilegierte Ausnahmen ganz unten sind? Wohl nicht, weil sie partout nicht aus ihrer Sprachkolonie herauswollen, hinein in die österreichische Gesellschaft. Vielleicht ist es genau umgekehrt: Weil die dominierende Gruppe, also wir alle, zu wenige Angebote oder Sprechanlässe schaffen.

(DER STANDARD-Printausgabe, 17.2.2005)