Die Publizistin Christine von Kohl ist Leiterin des Kulturni Centar (Österreichisch-bosnisch- herzegowinischer Kulturverein) in Wien.

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Die Mütter sind offenbar an allem schuld: am schlechten Schulerfolg ihrer Kinder, am schlechten Abschneiden der österreichischen Schüler in der Pisa-Studie. Und am schuldigsten unter ihnen sind die "Ausländermütter".

Was zunächst die Schüler betrifft: Erstens lassen sich sicher auch Statistiken erstellen, die belegen, dass Kinder von Zuwanderern in Österreichs Schulen prozentual gute, bis besonders gute Leistungen erbringen. Schließlich sind sie in besonderem Maße motiviert, da sie als Angehörige einer Minderheit im Klassenverband besonders viel leisten müssen, um "angenommen" zu werden. Und: Sind die Kinder erfolgreich, geht es auch den Eltern besser.

Zweitens handelt es sich bei den genannten "Problemschülern" erfahrungsgemäß überwiegend um solche Kinder, die zu Hause keine Unterstützung erfahren - weder in Bezug auf Schule und Bildung generell noch auf Schulaufgaben im Speziellen. Und dieses Manko kennzeichnet zweifellos nicht nur die Situation von Zugewanderten.

Drittens sind zwangsweise Deutschkurse für kleinere Kinder insofern unsinnig, als diese im Kindergarten und in den ersten Schulmonaten spielend leicht die Sprache der Umgebung erlernen.

Blockaden abbauen

Und wie sieht es bei den Eltern aus? - Punkt eins: Freiwillige und gratis angebotene Deutschkurse für alle, die integriert werden wollen, weil sie sicher sind, auf Jahre in Österreich bleiben zu können, liegen im ureigensten Interesse unserer Gesellschaft und sollten daher eine Selbstverständlichkeit sein.

Ausländer, die schon länger in Österreich leben und solche Kurse in Anspruch genommen haben, wissen, wie enorm wichtig das für sie war, weil das tägliche Leben viel einfacher und vielfältiger wird, wenn man die Sprache des jeweiligen sozialen Umfelds beherrscht. Und dafür sind alle auch bereit, etwas zu bezahlen.

Punkt zwei: Zwangsweise Deutschkurse würden dagegen den betreffenden Familien große psychische und soziale Probleme bereiten: Erwachsene Menschen, die "in die Schule" gehen müssen, schämen sich vor einander und vor Lehrern bzw. Lehrerinnen, wenn sie möglicherweise auch noch zugeben müssten, dass sie weder lesen noch schreiben können. Außerdem ist das Erlernen einer Fremdsprache noch viel schwieriger, wenn es keinerlei Voraussetzungen für Grammatik, Satzbildung etc. im Rahmen der jeweils eigenen Sprache gibt. Das ist die eine Seite der Problematik.

Die andere liegt in der familiären Struktur verschiedener kultureller Einflüsse: Weder Frauen noch Töchter werden in streng patriarchalischen Familien allein zu einem Termin außer Haus gehen dürfen, wenn die Männer der Familie damit nicht einverstanden sind.

Die Männer aber werden vermutlich in der Mehrzahl einen Arbeitsplatz haben und daher als Begleiter im Regelfall nicht verfügbar sein - auch ein eventuelle Verpflichtung zu gemeinsamem Schulunterricht wird somit kaum geeignet sein, die schon erwähnten Probleme zu verringern. Warum will man sie vom Zaune brechen?

Konklusion: Wenn es ein "österreichisches" Interesse daran gibt, dass zu integrierende Personen die deutsche Sprache beherrschen, dann muss der Staat (und die Gesellschaft) bereit sein, dafür selbst den erforderlichen Einsatz zu bringen - und nicht die Ausländer/innen!

Vertrauen schaffen

Das heißt konkret: offiziell geförderte "Integration" in Kindergärten, zum Beispiel auch durch "ausländische" Spiele, die zugleich einheimischen Kindern die Vorteile der Mehrsprachigkeit vermitteln; Beistellung von Begleitlehrern in den Schulen, die sich aller Schüler annehmen, die Lernschwierigkeiten, aus welchen Gründen auch immer, haben. Schließlich müssen sich die zuständigen Institutionen die Mühe machen, Lösungen für einen deutschsprachigen Unterricht zu finden, die das gegenseitige Vertrauen zwischen Einheimischen und Zugewanderten fördern, statt es zusätzlich zu belasten.

Ein populäres Sprichwort sagt: Man kann nicht gleichzeitig pusten und Mehl im Mund haben! Eine Weisheit, die zu beherzigen auch politischen Entscheidungsträger dringend anzuempfehlen ist. Oder, um es ganz unmissverständlich auszudrücken: Man kann nicht gleichzeitig sparen und bessere Resultate erzielen wollen. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.1.2005)