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Innenminister Schily forderte alle Parteien im Streit um eine Verschärfung des Versammlungsrechts zu Kompromissen auf.

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Berlin - Der deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) hat die Opposition aufgerufen, bei der geplanten Verschärfung des Versammlungs- und Strafrechts mitzuwirken. Trotz der am Freitag im Bundestag bekundeten Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeichnete sich aber noch keine gemeinsame Linie zwischen Koalition (SPD/Grüne) und Opposition (CDU/CSU/FDP) ab. Bei der ersten Lesung des rot-grünen Gesetzentwurfs und des Vorschlags der Union für die Wiedereinführung der Bannmeile kam es zu kontroversen Debatten.

Beide Vorschläge richten sich gegen Versammlungen von Neonazis an politisch sensiblen Orten wie etwa dem Holocaust-Mahnmal in Berlin. Die Koalition will schon in der kommenden Woche die Gesetzesänderung abschließend behandeln. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) schlug in dem parallel tagenden Bundesrat vor, den Ländern mittels einer Öffnungsklausel die Möglichkeit zu geben, an besonderen Orten Versammlungen eigenständig verbieten zu können.

Schily äußerte Verständnis für den Gesetzentwurf der CDU/CSU, den befriedeten Bezirk um den Reichstag auf das Brandenburger Tor und das Holocaust-Mahnmal auszudehnen und dort Demonstration nur in Ausnahmen zuzulassen. "Jeder sollte auf die Argumente des Anderen hören", sagte Schily. Es sei seine herzliche Bitte, "dass wir nun zusammenkommen, uns ernsthaft bemühen, die jeweiligen Vorstellungen anzunähern".

Union besteht auf Ausweitung des "befriedeten Bezirks"

CDU-Politiker Wolfgang Bosbach sagte: "Wir sind bereit, den Gesetzentwurf der Koalition wohlwollend zu prüfen." Die Union sei bereit, Orte wie das Holocaust-Mahnmal und KZ-Gedenkstätten zu schützen. Es gehe auch nicht um einen "Streit um des Streites willen". Doch müsse das Hauptproblem ebenfalls gelöst werden. Damit bezog sich Bosbach darauf, dass von den rot-grünen Vorschlägen zum Versammlungsrecht das Brandenburger Tor ausgeklammert bliebe. Dort will aber die NPD bereits zum Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai aufmarschieren. Daher müsse der befriedete Bezirk erweitert werden, um Neonazi-Aufmärsche dort zu verhindern, sagte Bosbach. "Diese Bilder diskreditieren nicht nur Berlin, sondern ganz Deutschland", warnte er.

In der Debatte griffen Bosbach und andere Redner der CDU/CSU die Koalition zum Teil scharf an. Ihr innenpolitischer Sprecher Hartmut Koschyk hielt der Regierung jahrelange Untätigkeit und jetzt einen gesetzgeberischen Aktionismus vor. Die Union pries ihren Vorschlag über den befriedeten Bezirks als die einfachste Lösung, Neonazi-Demonstrationen am Brandenburger Tor und am Holocaust-Mahnmal zu verhindern.

Die FDP und rot-grüne Politiker zeigten sich dennoch überzeugt, dass der zum 60. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai im Zentrum Berlins geplante NPD-Aufmarsch auch mit dem jetzigen Recht zu verhindern sei. Die NPD werde nicht durch das Brandenburger Tor gehen, sagte die Innenexpertin der Grünen, Silke Stokar.

Sprecher der SPD-Fraktion: Plan der Union verfassungswidrig

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, bekräftigte: "Null Toleranz gegenüber den Feinden der Demokratie." Bei diesem Kampf dürfe man aber nicht die Rechte aller Bürger beschneiden. Anders als Schily verwarf Wiefelspütz den Unionsvorschlag als verfassungswidrig. "Wir schützen nicht das sowjetische Ehrenmal, wir schützen nicht die Schweizer Botschaft, wir schützen mit dem befriedeten Bezirk ausschließlich die Funktionsfähigkeit dieses Hohen Hauses - und sonst nichts." Wiefelspütz bekräftigte nochmals, dass die Koalition die wegen rechtlicher Bedenken zurückgestellte Strafverschärfung bei Volksverhetzung noch in das Gesetz eingefügen werde.

Auch Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) unterstrich, dass der Strafrechtsparagraf 130 entsprechend ergänzt werden müsse. Bisher gebe es keine rechtliche Handhabe, wenn Rechtsextremisten öffentlich die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verherrlichten, so lange sie nicht den Holocaust leugneten oder die "Auschwitz-Lüge" propagierten. Das Strafrecht sei aber nur eine Möglichkeit, die Neonazis zu bekämpfen.

Grüne gegen Unionsvorschläge

Die Grünen wehrten sich gegen die Bestrebungen der Union, das Demonstrationsrecht an zentralen Plätzen einzuschränken. Stokar und der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele betonten, dass auch künftig am Brandenburger Tor Demonstrationen erlaubt sein müssten. Die FDP kritisierte beide Vorlagen und die Eile der Beratungen. "Nicht die heiße Nadel ist gefragt, sondern der kühle Kopf", sagte ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Jörg van Essen. (APA/dpa)