Alexander Horwath

"Am Ende des Premierenabends demonstrierten die Wiener Sängerknaben auf ihre Weise für die Freiheit des Landes. Das eigens für den Film komponierte Österreich-Lied mit dem Refrain 'Die Sonne scheint auf alle gleich, warum nicht auch auf Österreich?!' klang bereits sehr nach Ersatz-Hymne", schreibt der Filmwissenschafter Christoph Fuchs.

Es naht der 1. April 2000. Im letztwöchigen STANDARD-ALBUM (und anderswo) wird ein österreichischer Science-Fiction- und Propagandafilm aus dem Jahr 1952 wieder erweckt, der exakt diesen Titel trägt: 1. April 2000.

Im selben ALBUM (und anderswo) breitet Franz Antel, der Herr Karl des österreichischen Films, seine Gedanken über Politik, Kino und den Herrn Karl Bockerer aus, dessen dritte Auferstehung als Filmfigur gerade stattfindet. In derselben Woche zieht eine Kultursprecherin der FPÖ gegen die "Ära des Ideologiefilms" vom Leder. Aber sie meint damit keineswegs den aus April, Antel, Bockerer, Karl, Österreich zusammengesetzten Ideologiefilm, der unser Land würgt, sondern jene Arten von Kino, die der altgedienten Ideologie ein wenig Kritik und Aufklärung widmen. Und in derselben Woche schwingt sich der ORF zu einer mächtigen Show auf, die er das "Österreich-Gespräch" nennt.

Das Lied zum Gespräch

Das klingt nicht nur wie das "Österreich-Lied" aus dem offiziellen "Österreich-Film" von 1952, sondern spielt sich auch ab wie ein Stück fürs Kino oder die Hauptabend-Unterhaltung. Die Sendung folgt eher dem episch-emotionalen Script eines Gerichtssaaldramas als der offenen, abwägenden, diskursiven Form, die man mit dem Wort "Gespräch" assoziiert. Wie schön, dass diese vier Ereignisse zeitlich zusammenfallen: Sie gehören auch räumlich zusammen.

Ihr Raum ist die Nachkriegs-Österreich-Ideologie, der mythisch aufgeladene Konsens über die Zeit seit 1938, der immer wieder aus der Versenkung geholt und aktualisiert werden kann. Eine Zeit lang hielt man diesen Mythos für weitgehend aufgeklärt. Aber mit der neuen Regierung und den "Auslands-Sanktionen" feiert er ein glänzendes Comeback. Im Vordergrund stehen katholisch besetzte Bilder: Österreichs ewige Rolle als "Opfer" und die Frage der "Schuld". Dementsprechend werden auch die alten Gegenstrategien aufgefrischt: die konsequente Schuldumkehr und der möglichst schmerzlos zu erwirkende Ablass aller gesammelten Sünden.

Ein deutlicher Gegensatz zur aktuellen katholischen Kirchenführung ist freilich anzumerken: Die Führung des Opferstocks Österreich verzichtet weiterhin auf jegliche Form der Selbstkritik.

Wir rekapitulieren: Nach 1945 wurde auf der Grundlage der ÖVP-SPÖ-Versöhnung (unter sukzessivem Ausschluss der KPÖ) eine nationale Identität konstruiert, der Österreich vieles verdankt. "Neutralität" und "Sozialpartnerschaft" gerieten zum mythischen Maßstab dieser Identität. Das eigentlich Politische und ein konkretes historisches Bewusstsein (z.B. über die vom "Ausland" milde eingemahnte Schuld) wurden dabei auf fatale Weise entsorgt. Im Jahr 1952 setzt der 1. April 2000 die Türkenbelagerung, die NS-Zeit und die Nachkriegsbesatzung dramaturgisch und moralisch in eins. Im Jahr 2000 weiß der Bockerer, dass "die Russen" und Stalin (für Österreich und überhaupt) schlimmer waren als die Nazis und Hitler. Glaubt da noch jemand, dass die Rote Armee Wien von den

Nazis befreit hat? Der Bockerer, der 1. April 2000 und der Mythos wissen es besser: Es waren "Die Reblaus", der Veltliner und der Charmeschmäh, die Österreich befreiten. Und zwar von den Russen, nicht von den Nazis.

Anton Pelinka zog zwischen dem 1.-April-Film und der aktuellen Sanktionen-Debatte eine ironische Parallele, die seiner Ansicht nach "nicht die geringste Chance auf Realisierung" besitzt - dass die Bundesregierung mit der parlamentarischen Opposition ein Österreichbild produzieren könnte "mit der Intention, die EU davon zu überzeugen, dass sie Österreich falsch wahrnimmt".

Zwei Wochen später holt ihn die Wirklichkeit zumindest teilweise ein: Der weithin akzeptierte Aufruf zum "nationalen Schulterschluss" ist nichts anderes als der Versuch, eben dieses Österreichbild zu bauen. Da es ein mythisches, immer noch wirkmächtiges Bild ist, müssen sich die Vertreter der Opposition gehörig bemühen, um vor dem Volk nicht als Landesverräter dazustehen. Das gilt für 1952 wie für 2000: Politische Positionen, die einen mythischen Österreich-Konsens nicht zu teilen vermögen, geraten schnell unter Volksdruck. Nur die Regierungsparteien sind neu: Statt Schwarz-Rot bewässert heute Blau-Schwarz den Österreichmythos (so rasch wächst eine "Missgeburt" heran zur Ideal-Nation).

Scheinbar objektiv

Der SPÖ und den Grünen wird von der Regierung heute denunziatorisch jene Rolle zugewiesen, die 1952 die KPÖ innehatte: hart am Rand des "Österreich-Bogens". Der ORF ist da natürlich objektiver. Aber er sieht nicht, dass die Österreich-Ideologie sich ständig selbst über das scheinbar "Objektive" legitimiert und damit dem Fernsehen das Objektiv verzerrt. So kommt es zu einem monströsen "Österreich-Gespräch", das in vielerlei Hinsicht dem Österreich-Prozess im April-Film ähnelt.

Das Hauptproblem ist auch diesmal nicht die innere Ursache (FPÖ), sondern die empörende äußere Wirkung (alle gegen Österreich). Zum Auftakt konstruiert der ORF das perfekte Opfer- und Unschuldslamm: die vom Ausland geschändeten Schüler, die die Rhetorik der gesamten Sendung prägen. Die Einladungspolitik zielt auf "Objektivität" und "Repräsentativität". Das heißt bei uns noch immer: ein Staat der Stände, Parteien und Interessenvertreter. Das Ausland, fast zur Gänze aus dem Ausland zugespielt, dräut hoch und Big-Brother-like über der ansteigenden Gerichtssaal-Arena. 1952 argumentierte der Österreich-Film mit Landschaft, Wein und Musik. Ein deutsches Branchenblatt schrieb über den 1. April: "Wo sich der unvermeidliche Zeigefinger der Regierungspädagogik erhebt, da ist er hinter einem funkelnden Weinglas verborgen." Die vom ORF süffig geladenen Winzer und Hoteliers argumentieren und klagen heute ganz gleich. Nur die Kultur spielt nicht mehr 1952. Deshalb begnügt man sich beim ORF mit einem einzigen Vertreter der Zunft: dem, no na, Staatsoperndirektor (der sich leider auch als konsenskritische Krätzn erweist).

Werbende Sanktionen

Und kennen Sie den? Die "Weltschutzkommission" fliegt zu Beginn des April-Films irrtümlich nach Australien statt nach Austria. Diese Ursorge der Österreicher ist jetzt gebannt: Die Tourismussekretärin Rossmann freut sich im "Österreich-Gespräch" über die positiven Begleiteffekte der Sanktionen - die Welt verwechsle Austria nun nicht mehr mit Australien. Wenn das kein Grund zum nationalen Schulterschluss ist! 1952, im April-Film, musste das besetzte Land noch devot werben um das Verständnis und das Lächeln der Welt.

Am Ende gehen Ministerpräsident Meinrad und Weltpräsidentin Krahl friedlich zusammen: Die Welt heiratet Österreich. Im Echtjahr 2000 hingegen ist Österreich stark und selbstständig genug, um derartige Zweckehen (z. B. Schüssel & Albright) von sich weisen zu können. Im Schüssel-Passer-Kurs des pädagogischen Auftretens zu zweit, Schulter an Schulter, grinsend und firm (Kinderscheck und Karenzmanna wabern im Hintergrund), ist die Ehe für Österreich nämlich schon intern vollzogen.

"A G'scheider und a Hantige" - das autoritätshörige Österreich hat die "Eltern", die es verdient. Und auch den dazu passenden, gemütlich tarockierenden Großonkel. Franz Antel: "Ich verdrängte alles, was mit Politik zu tun hatte, und machte es mir leicht. Das Leben bescherte mir einfach viel zu viel Wunderbares." Das Geschichtsbild und der Soziotyp, den Antel und Karl Bockerer repräsentieren, das Durchlavieren, Arrangieren, Uniformwechseln, sind noch heute sehr wertvoll - Antel verdrängt vielleicht alles Politische, aber er sucht die innige Nähe aller Politiker:

"Ich bin mit dem Klima per Du gewesen. Ich bin mit dem Schüssel per Du. Ich bin mit dem Klestil per Du. Und die helfen mir dann auch alle, wenn es darauf ankommt. Wenn ich sage, ich mache einen Film, dann ist das auch so. Und wenn das zu einer Regierungsänderung führt. Der Häupl hat mir zum Beispiel beim Bockerer 2 geholfen. Der Pröll, der Stix, der Klestil:

Dann ist Premiere und Rathausempfang, und sie alle gehen hin - ein wahrhaft parteienübergreifender Konsens. Österreichmythos. Mehr Spitzen waren nie bei der Aufführung eines heimischen Films. Aber vielleicht sollte "der Antel" noch ein paar Bockerer drehen. Wenn das zu einer Regierungsänderung führt? Der Versuch, den 1. April 2000 oder die Bockerer-Filme als typisch "unpolitische" Unterhaltung durchzupeitschen, gehört zu diesem Komplex: unschuldiges Amüsement, null Propaganda. Tatsächlich aber dienen solche Filme als Lautsprecher der herrschenden Ideologie. Zu erkennen ist dies nicht zuletzt an der Vehemenz, mit der sie von Zeit zu Zeit in Staatsschutz genommen werden vor den Zumutungen der Ideologiekritik.

Selbst Gisela Hopfmüllers entrüstete, scharfe Replik auf die brillante Analyse des "Österreich-Gesprächs" durch Werner Welzig steht noch in dieser Tradition. Wer Ideologiekritik so "zurechtrückt", erlaubt einen kurzen Blick auf den ideologischen Boden, auf dem er steht.

"Gehässiger" Emigrant

Der Co-Autor, Planer und Hersteller des 1. April 2000, Ernst Marboe, war 1952 Chef der Bundes-Kulturabteilung. Beim Versuch, den Film in den USA zu platzieren, stieß er auf Emigranten, die das Werk "im negativen Sinn als Propaganda verstehen wollten und nicht als Plädoyer für Österreichs Freiheitsanspruch. In diesen Kreisen mangele es nicht an offenen wie an versteckten Gehässigkeiten, beklagte sich Marboe und erwähnt einen Rezensenten namens Hift, der anmerkte: ,Es wäre vielleicht von den Drehbuchautoren Marboe und Brunngraber zu viel erwartet, dass sie dem Publikum auch den tobenden Wiener Pöbel von 1938 zeigen.'" (Christoph Fuchs).

Dieser Fred Hift, Korrespondent von Variety und der New York Times, hatte 1938 aus seiner Heimatstadt Wien fliehen müssen. Er hat eine konkrete österreichische Erfahrung gemacht. Im Jahr 1952 eliminiert der 1. April 2000 diese österreichische Erfahrung zugunsten einer österreichischen Ideologie. Deren filmische Umsetzung wird im Jahr 1952 dem prominenten NS-Regisseur Wolfgang Liebeneiner übertragen. In diesem Jahr 1952 gilt der österreichische Flüchtling Fred Hift, weil er den Anspruch der Wirklichkeit gegenüber der Ideologie geltend macht, als "gehässig".

Historische Regression

Fehlt nur noch, dass die österreichischen Filmemigranten rückwirkend zu "Fahnenflüchtigen" uminterpretiert werden. Im Jahr 1991 spricht der Schauspieler Fritz Muliar ein altgedientes Ressentiment aus: "Franz Antel hat mehr für den Film getan als so mancher viel gepriesene Österreicher in Hollywood." "Wenn man die Waldheim-Jahre Revue passieren lässt, wo sehr viel passiert ist in Richtung einer Bewusstwerdung der Rolle Österreichs in der Vergangenheit, dann ist das, was jetzt passiert, eine Regression. Eine Regression in die Fünfziger-Jahre, und die ist mit Franz Antel einigermaßen passend repräsentiert." (Robert Schindel, 1996)

Man könnte hinzufügen: Es ist eine Regression, in der die Farce vom 1. April 2000 wiederkehrt als Geschichte der Jetztzeit.

Anm. d. Red: Auf Einladung von SYNEMA und der Diagonale hält der oben zitierte Historiker und Filmwissenschaftler Christoph Fuchs am 1. April 2000 in Graz eine Lecture zum gleichnamigen Film. Sein Text erscheint im Rahmen der "Lieferungen zum österreichischen Film" (SYNEMA-Publikationen).

Alexander Horwath, 1992 bis 1996 "Viennale"-Direktor, lebt als freier Autor und Kurator in Wien.