Umarme mich, ich bin so schön: In Mihály Kertész' "Das Spielzeug von Paris" (1925) muss sich ein Revuestar zwischen zwei Verehrern entscheiden.

Foto: Filmarchiv Austria
Wien - Die Erfahrung der Emigration steht im Mittelpunkt seines berühmtesten Films, Casablanca. In seiner nahtlosen Verschränkung von romantischen Begehrlichkeiten, politischem Zeitgeschehen, Komik und der ikonischen Präsenz seiner Stars gilt er als der Hollywoodklassiker schlechthin. Dem Regisseur Michael Curtiz brachte er einen Oscar ein. Als routinierter Studiohandwerker, der sich in zahlreichen Genres bewährte, war er eine gleichermaßen verlässliche wie erfolgreiche Kraft des Warner-Studios.

Curtiz war 1926 nach Hollywood engagiert worden, nachdem ihn Harry M. Warner bei einer Europareise entdeckt hatte. Da hatte der (wahrscheinlich) 1886 in Budapest geborene Mihály Kertész schon eine beachtliche Anzahl von Filmen vorzuweisen. Dennoch gilt sein Frühwerk - anders als jenes vergleichbarer Regisseure wie Ernst Lubitsch, Josef von Sternberg oder F. W. Murnau - als nahezu unbekannt.

Erschaffer von Welten

Das Filmarchiv Austria schließt diese Lücke gegenwärtig mit einer Retrospektive, in der die restaurierten Fragmente seiner ersten, in Ungarn produzierten Filme ebenso zu sehen sind wie jene, die er bis 1926 in Österreich bei der Sascha-Film verwirklicht hat. Kertész' Stummfilme, neben den bekannteren Monumentalfilmen wie Sodom und Gomorrha (1922), der am Wiener Laaerberg entstand, auch Kriminalfilme und Gesellschaftsdramen, zeugen bereits von der Vielseitigkeit eines Regisseurs, der im Kino die Möglichkeit sah, viele Welten zu erschaffen.

Wie gut er es etwa verstand, Landschaften zu entwerfen, in denen sich Gefühle manifestieren, in die sich aber auch effektvoll Aktionsmuster einschreiben lassen, zeigt Die Lawine (1923). Ein Mann hat sich dem Willen seiner sterbenden Mutter gefügt und nicht die Frau geheiratet, die er liebte, sondern jene, mit der er ein Kind gezeugt hat. Hoch oben auf einem verschneiten Berg, an dem er ein zurückgezogenes Leben führt, holt ihn die Vergangenheit ein.

Zuerst sind es diskontinuierliche Erinnerungsbilder, die wieder an die Oberfläche steigen und Unruhe erzeugen; dann kehrt die ehemalige Geliebte zurück, zur Femme fatale gewandelt. Sie führt ihn erneut in Versuchung und lockt ihn aus seiner behaglichen Enklave fort. Das Schicksalsmächtige der Erzählung - ein Mann kann seiner Natur nicht entkommen - setzt Kertész nicht so sehr über expressives Schauspiel um. Vielmehr inszeniert er fatale Bewegungen durch Schneehänge und stilisiert dabei die Natur zur nicht bezwingbaren Größe.

Kertész' Talent für ein aktionistisches Kino, in dem sich ein melodramatisches Geschehen entfaltet, bezeugt auch Wege des Schreckens (1921). Erzählt werden die Umwege zweier ungleicher Geschwister, deren Leben sich überkreuzen, aber nie zusammenführen. Mehr noch als in Die Lawine sind es hier Schauplätze und Schauwerte, die den Film vorantreiben: Erstere forcieren die Kontraste sozialer Milieus, während Letztere - ein Zug in Flammen, ein Schlot stürzt ein - zum Ausdruck der Unmöglichkeit werden, diese zu überschreiten. Hier erahnt man, was Harry M. Warner beeindruckt haben muss. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.02.2005)