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Die Übeltäterin

Foto: Archiv
London/Wien - Erfolg einer internationalen Wissenschaftergruppe mit Beteiligung aus Wien: Unter der Federführung von Spezialisten des von dem Gen-Sequenzierer gegründeten Institute for Genomic Research (TIGR) in Rockville im US-Bundesstaat Maryland wurde das Genom des Erregers der Ruhr, der Entamoeba histolytica, entziffert. Das bietet für die Zukunft auch die Chance auf bessere Medikamente bzw. sogar Impfungen gegen die gefährliche Erkrankung.

Die Wissenschafter - an den Arbeiten nahmen auch Michael Duchene und seine Mitarbeiterin Margit Hofer vom Institut für spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien teil - publizieren ihre Arbeit in der neuesten Ausgabe der britischen Wissenschaftszeitschrift "Nature" (24. Februar).

Die Krankheit

Weltweit werden pro Jahr rund 50 Millionen Menschen von den Amöben über kontaminiertes Wasser oder Lebensmittel infiziert. Etwa 100.000 Menschen sterben an der Erkrankung. Amöben überleben im Darm der Infizierten und weichen dem menschlichen Immunsystem aus. Neben der akuten Ruhr mit teilweise lebensgefährlichem Durchfall kann es auch zu gefährlichen Leberabszessen und schwersten Darmkomplikationen kommen.

Die Erreger der Ruhr sind Einzeller-Parasiten, die im Darm von Menschen leben. Bisher glaubte man - so eine Ausendung von TIGR zu der Veröffentlichung - dass es sich bei ihnen um sehr primitive Lebewesen handle. Sie weisen nämlich zum Beispiel keine Mitochondrien, also "Zellkraftwerke" und andere Zellorgane auf, wie sie höhere Zellen haben.

Adaptionsleistung

Doch die Sache ist offenbar nicht so einfach. Die Amöben, die selbst wiederum von den von ihnen getöteten Darmbakterien leben, haben sich offenbar an ihre Umwelt erst adaptiert. Der federführende Wissenschafter bei den Arbeiten, Brendan Loftus: "E. histolytica hat offenbar ihren Stoffwechsel teilweise umgestaltet." Die Krankheitserreger hätten manche Gene verloren, andere aber wiederum von Darmbakterien zu ihrem eigenen Vorteil aufgenommen.

Dazu Matthew Berriman vom an der Genom-Entschlüsselung beteiligten britischen Sanger Institut: "Die Ergebnisse geben uns eine faszinierende Sicht auf die Mechanismen, wie sich dieser alte Parasit entwickelte und könnten ganz typische Stoffwechselprozesse enthüllen, die Ziele für neue Medikamente werden könnten." Entamoeba histolytica dürfte auch mit den Trichomonaden verwandt sein, die zu Infektionen des Genitaltrakts führen.

Neil Hall von TIGR über ein Spezifikum der Krankheitserreger. "Diese Amöbe hat ganz sicher Gene, die es seine Umgebung erfassen und auf diese Reize reagieren lassen." Bekannt seien nun die Gene, welche für die Oberflächenmerkmale und somit für die mangelnde Immunantwort des Menschen gegen sie verantwortlich sein dürften. Schließlich wurden zahlreiche Enzyme identifiziert, die nur bei den Ruhr-Erreger vorkommen. Sie könnten durch neue Medikamente spezifischer attackiert werden als durch die herkömmlichen Antibiotika, die nur eine begrenzte Wirkung haben.

Forschung in Wien

An der Entschlüsselung des rund 24 Millionen DNA-Basenpaaren großen Genoms der Ruhr-Amöbe (Entamoeba histolytica) war auch eine Arbeitsgruppe unter Michael Duchene vom Institut für spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien beteiligt. "Wir forschen auf diesem Gebiet seit vielen Jahren. Wir haben einerseits an der Zusammenstellung der Genom-Daten (Annotation, Anm.) mitgearbeitet, andererseits haben wir mit unserem Wissen über bei den Amöben vorkommende Enzyme die aus den USA und Großbritannien kommenden Sequenzdaten ergänzt", erklärt Duchene.

Die Wiener Wissenschafter haben schon vor Jahren begonnen, Grundlagenforschung für eine bessere Labordiagnostik von Amöben-Infektionen zu betreiben. Der Experte: "Es gibt bestimmte Tests auf dem Markt, mit denen man aus Stuhlproben zwischen krankheitserregenden und nicht krankheitserregenden Amöben unterscheiden kann. Das Problem ist aber, dass der Test auch manchmal falsch negative Ergebnisse bringt". Deshalb geht es bei den Arbeiten darum, spezifische Proteine zu identifizieren, auf deren Basis man genauere Untersuchungsmethoden entwickeln könnte.

Behandlungsmöglichkeiten

Außerdem wären auch bessere Behandlungsverfahren erwünscht. Duchene: "Mit dem Antibiotikum Metronidazol bekommt man eine Infektion relativ gut in Griff. Wir haben aber zum Beispiel belegen können, dass man solche Erkrankungen auch mit Miltefosin, dem neuen Medikament, das man gegen Leishmaniosen (eine Tropenerkrankung, Anm.) anwendet, behandeln könnte."

So wichtig auch die Erforschung der Amöben sei, stoße man dabei auch auf Schwierigkeiten. Duchene: "Obwohl von Zeit zu Zeit auch bei uns manchmal eine Person vor allem nach einer verschleppten E. histolytica-Infektion sterben kann, misst man dem Problem auch international nicht die allergrößte Bedeutung zu. Wenn wir den Forschungsförderungsfonds FWF nicht hätten, wären Arbeiten wie unsere hier in Wien nicht möglich." Die Sequenzierung des Genoms wäre jedenfalls ein großer Fortschritt, mit der man sowohl die Evolution als auch die Lebensabläufe der Einzeller nun wesentlich besser erforschen könne. (APA)