Innovationen
Palm-Clone Visor im Test gegen das Original
Kann Handspring den Palm schlagen?
Der Markt für stiftbasierte Palm-Sized PDAs ist klar
verteilt: Über drei Viertel der verkauften Geräte
basieren auf PalmOS, der Rest ist mit Microsofts
Windows CE oder anderen Systemen ausgestattet.
In Europa gab es bislang nur die Geräte von
PalmOS-Hersteller Palm Computing
selbst zu
kaufen. Nun wagt Konkurrent
Handspring
ab Mai
mit der Visor-Baureihe den Sprung nach Europa.
Mit den Modellen Visor Solo, Visor und Visor Deluxe will sich Handspring seinen Anteil am
boomenden Markt der Palmsize-PDAs sichern.
Die Modelle Visor und Visor Solo sind mit je zwei
MByte Speicher ausgestattet, der Visor Deluxe mit
acht MByte. Der Visor Solo unterscheidet sich
gegenüber dem Visor durch die fehlende
Dockingstation (Hotsync Cradle), ansonsten sind
die Geräte technisch identisch. Die Preise der
deutschen Visor-Modelle stehen noch nicht fest,
sollen sich aber an den US-Preisen (150-250 Dollar)
orientieren.
Das Magazin
tecChannel
überprüfte anhand des Visor Deluxe, ob
sich die neuen Handspring-Modelle gegen die
etablierte Konkurrenz von Palm IIIe, IIIx, IIIc und V
behaupten können.
Visor-Hardware
Das oberflächlichste, aber auffälligste Merkmal des
Visor Deluxe ist sein Design. Von den
Abmessungen her entspricht das Gerät der
Palm-III-Baureihe, unterscheidet sich aber durch
geriffelte Gehäusekanten und der Farbgestaltung.
Statt mausgrau kommt der Visor in der
Deluxe-Version in Schwarz, Weiß, Grün, Blau oder
Orange daher. Bis auf das schwarze Modell sind
alle Farbvarianten im iMac-Stil transparent und
lassen einen verschwommenen Blick ins Innere des
Gerätes zu. Den Visor Solo und den Visor gibt es
hingegen nur in schwarz.
Der Display-Schutz besteht aus einer Plastikklappe
mit Schnappmechanismus, der an der Vorder- und
Rückseite des Visor gleichermaßen Platz findet.
Ein einfaches Aufklappen wie bei den
Palm-III-Modellen ist nicht möglich. Die Klappe
muss zum Wechsel der Position jeweils ganz
entfernt und wieder neu aufgesetzt werden.
Technisch unterscheiden sich die Visor-Modelle von
ihren Palm-Brüdern bis auf den
Springboard-Erweiterungsslot kaum: Der Prozessor
ist hier wie dort ein Motorola Dragonball EZ mit 16
MHz, das Display bietet eine Auflösung von
160x160 Bildpunkten und vier Bit entsprechend 16
Graustufen. Die Qualität der Darstellung entspricht
dem Display des Palm V.
Das Hotsync Cradle des Visor gibt es wahlweise
mit USB oder seriellem Anschluss. Der
USB-Anschluss birgt dabei eines der wichtigsten
neuen Features: Dieser sorgt laut Handspring für
schnellere Datenübertragung beim Hotsync. Der
tecChannel-Test belegt dies: Während die
Installation einer rund 300 KByte großen Datenbank
bei einem Palm V mit seriellem Cradle über eine
Minute dauert, erledigt der Visor die gleiche
Aufgabe in rund 15 Sekunden. Wer den Visor unter
NT einsetzen will ist allerdings auch weiterhin auf
einen Connect via der langsameren seriellen
Schnittstelle angewiesen.
Weiteres Plus: Für Mac-User stellt der Anschluss
dank USB ebenfalls kein Problem dar. Die
notwendige Software liefert Handspring im
Gegensatz zu Palm Computing gleich mit.
Allerdings ist das Cradle nur zum Handspring Visor
kompatibel. Wer hofft, auf diese Weise seinen alten
Palm III oder V per USB mit dem PC verbinden zu
können, wird enttäuscht.
Erweiterungen per Springboard
Palm-Kennern fällt sofort der Springboard-Slot an
der Rückseite des Geräts ins Auge. Dieser
Handspring-eigene Erweiterungs-Port nimmt über
ein Drittel der Rückseite ein und ist damit deutlich
größer als ein CompactFlash-Slot. Das Besondere
der Springboard-Karten: Spezielle Treiber sind nicht
erforderlich, da die entsprechende Software auf den
Karten integriert ist. So startet zum Beispiel das
zum Test mitgelieferte Backup-Modul zur Sicherung
des Datenbestandes sofort nach dem Einstecken
die integrierte Backup-Software.
Bei den Sound-Funktionen - bislang eine
Schwachstelle der Palm-Organizer - ist der Visor
nur minimal besser als seine Palm-Konkurrenten
ausgestattet: Ein kleines Loch an der linken
unteren Seite verrät ein Mikrofon. Dies ist allerdings
nur zum Springboard-Slot durchgeschleift. So bleibt
das Mikrofon ohne entsprechende Hardware für den
Port völlig nutzlos.
Die Auswahl an Springboard-Modulen ist derzeit
noch mager: Neben dem beschriebenen
Backup-Modul gibt es derzeit nur eine
Acht-MByte-Speichererweiterung, ein Golf-Spiel und
ein Modem.
Angekündigt sind dagegen eine Vielzahl weiterer
Module, darunter MP3-Player und
Netzwerk-Adapter. Die Springboard-Module können
dabei auch über extra Batterieeinschübe verfügen,
da das Springboard vom Platz her wesentlich mehr
Spielraum lässt, als beispielsweise
PC-Card-Steckplätze.
In einem Detail ist der Visor in punkto Mechanik
jedoch schlechter als die Palm-Modelle: Der Stift
hat keinen integrierten Reset-Stift: Wer seinen
Visor neu starten will, muss eine Büroklammer
bemühen. Die Stromversorgung erfolgt wie bei den
Palm-III-Modellen über zwei AAA-Batterien.
Angepasstes Palm OS - Update ausgeschlossen
Das Palm-Betriebssystem selbst hat Handspring
laut eigener Aussage einer Performance-Kur
unterzogen. Im normalen Betrieb ist davon wenig
zu spüren, da zeitintensive Funktionen wie die
Such-Funktion nur minimal schneller sind. Auch
der Bildaufbau der einzelnen Applikationen wirkt
auf dem Visor nur minimal schneller. Der
Unterschied ist insgesamt daher kaum merklich
und in der Praxis ohne Relevanz.
Unverständlich ist, warum Handspring sogar beim
Deluxe-Modell darauf verzichtet hat, das PalmOS
in einem Flash-ROM abzulegen. Die Folge: Das
von Handspring optimierte und mit
Springboard-Support ausgestattete PalmOS 3.1H
ist nicht austauschbar.
Besonders Nutzer der Infrarot-Schnittstelle
bekommen dies zu spüren: Weder ein Hotsync
noch die Verwendung eines in einem Handy
integrierten Infrarot-Modems ist ohne zusätzliche Software
möglich. Handspring sagt
auf seiner Website, dass das von Palm Computing
erhältliche IR Enhancement für PalmOS 3.1
nicht zum Visor kompatibel ist.
Erweitere Software
Deutlich sichtbar werden die Optimierungen von
Handspring an den eingebauten Applikationen: So
wurde der magere Palm-Taschenrechner durch ein
leistungsfähiges Programm mit wissenschaftlichen
Funktionen (Trigonometrie, Statistik, Finanzen
etc.) und Einheiten (Gewichte, Temperaturen,
Längen, Flächen und Volumen) ersetzt. Damit
werden zum Beispiel Umrechnungen auf
internationale Maßeinheiten zum Kinderspiel.
Neben diesen kleineren Änderungen hat
Handspring vor allem auch den Kalender kräftig
überarbeitet. Die DateBook+ getaufte Anwendung
stammt offensichtlich von der Shareware
DateBk3 ab und bietet drei zusätzliche
Kalender-Ansichten: Eine Wochen-Ansicht mit
direkter Anzeige der Termine, eine
Jahres-Übersicht und eine Listen-Ansicht aller
Termine. Die beiden letzten Modi können dabei
nochmals über ein eigenes Options-Fenster an die
Bedürfnisse des Benutzers angepasst werden.
Allerdings ist die Bedienung des Programms nicht
durchgängig: So existierten einige allgemeine
Menüpunkte wie die Alarm-Optionen nicht in jeder
Kalender-Ansicht. Wie auch beim Palm OS 3.3 ist
nun die To-do-Liste in den Kalender integriert.
Fällige Aufgaben erscheinen auch in der
Kalender-Ansicht.
Keinerlei Änderungen finden sich dagegen im
Adress-Buch. Der Funktionsumfang ist in diesem
Bereich identisch zu den Palm-Modellen. Nur für
Vielreisende interessant ist die Welt-Uhr, die bis
zu vier Zeitzonen gleichzeitig anzeigt. Ganz
nebenbei existieren von allen Programmen
weiterhin die von Palm III und Palm V bekannten
Versionen.
Erfahrene Palm-Anwender kommen die neuen
Funktionen wahrscheinlich von verschiedenen
Zusatzprogrammen bekannt vor. Handspring ist es
jedoch hoch anzurechnen, die teilweise lange als
fehlend bemängelten Funktionen direkt in das
Betriebssystem integriert zu haben.
Fazit
Vor allem die Erweiterungsmöglichkeit über den
Springboard-Port und der schnelle Hotsync über
USB (bei Palm derzeit als Zubehör erhältlich) machen den Visor interessant. Bei allen
anderen Eigenschaften unterscheidet sich der Visor
nur marginal von den Palm-Computing-Modellen.
Neben den Verbesserungen auf der Software-Seite
beim Kalender und Taschenrechner bleiben aber
einige Wermutstropfen: Unverständlich ist, warum
Handspring das Betriebssystem nicht in einem
Flash-ROM untergebracht hat: Das derzeit
ausgelieferte PalmOS 3.1 ist eigentlich bereits
veraltet und bringt besonders für Besitzer von
Mobiltelefonen mit integriertem Modem und
IrDA-Schnittstelle erhebliche Nachteile mit sich. Bei
Betriebssystem-Updates wird es daher in Zukunft
wohl heißen: "Nicht für Handspring-Kunden". So erweiterbar der Visor durch den Springboard-Steckplatz werden soll, so sehr hemmt die mangelnde Upgrade-Fähigkeit Verbesserungen. (
tecChannel
/red)