Forschung & Geschlecht
Die Qual der Risikoabwägung
Zwei Wiener Soziologie-Studierende gewinnen Preis der deutschen Körber-Stiftung für eine Arbeit über das Risiko der pränatalen Diagnostik
Wien - Die Risiken der Gentechnik, der Globalisierung, der Atomenergie, des
Verkehrs, der Medizin: Das Leben - ein einziges Risiko. Ein Thema, das jeden beschäftigt
und das die Körber Stiftung 1999 deshalb jungen europäischen WissenschaftlerInnen
für den Wettbewerb um den “Deutschen Studienpreis” vorgab. Eines der Siegerteams kommt
aus Wien und wurde für seine Arbeit über das “Risiko der pränatalen Diagnostik” mit
einem der zweiten Preise (DM 7.500, S 52.500) ausgezeichnet. Elisabeth Simbürger und
Bernhard Saupe, Soziologen und Diplomanden an der Uni Wien, berichteten in dieStandard
, worum es ihnen dabei ging.
“Wir hatten schon länger über Entscheidungsprobleme nachgedacht”, sagt Simbürger,
“und darüber, wie Laien mit Risiko-Prozentsätzen umgehen. Um die gesamte Problematik
anschaulich darstellen zu können, haben wir nach einem praktischen Beispiel gesucht
und kamen so auf die pränatale Diagnostik.”
Der Ausgangspunkt:
Schwangeren Frauen über 35 wird empfohlen, ein Screening durchführen
zu lassen, weil das Risiko, ein krankes Kind zu bekommen, um ein bis zwei Prozent
höher liegt als bei jüngeren Frauen (4-5 statt 3 Prozent). Für ein solches Screening
gibt es drei Möglichkeiten:
1.
den Triple-Test, einen Bluttest mit geringer Aussagekraft
2.
die Chorionzottenbiopsie, eine Untersuchung in einem frühen Schwangerschaftsstadium.
Sie ist für den Fötus nicht ungefährlich und ist relativ unsicher.
3.
die Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung), die zwar eine höhere, aber auch
keine hundertprozentige Trefferquote hat und zugleich zum Abortus führen kann.
Wie kann, wie soll sich die Frau entscheiden? Saupe: “Eigentlich steckt sie in einer
sich immer weiter drehenden Test- und Unsicherheitsspirale.”
Ein Beispiel:
Angenommen, die Frau entscheidet sich für die Amniozentese, das Kind
hat tatsächlich Down-Syndrom, und die Frau treibt ab. Ist die Unsicherheit damit ausgestanden?
Kaum, antworten die Soziologen, nun wird sich die Frau zum Beispiel fragen, ob nicht
vielleicht die Probe verwechselt wurde und ihr Kind doch gesund war.
Spirale der Zweifel
Die andere Möglichkeit: Der Fruchtwassertest ist gut ausgegangen. Kommt dann
die große Erleichterung? Mitnichten - auch in diesem Fall bleibt ein Restrisiko. Es
könnte zudem sein, dass sich die Frau nun mit Gentechnik beschäftigt und darauf kommt,
dass es noch viele andere mögliche Krankheiten gibt - ohne entsprechende Tests.
“Schließlich haben wir auch noch abgeklopft”, sagt Saupe, “ob die richtige Entscheidung
mit Hilfe quantitativer Risikomodelle, in die sehr viele Faktoren eingebaut werden,
ausfindig gemacht werden könnte. Aber auch die helfen nicht wirklich weiter.”
Es gibt keine Patentlösung
Am Ende zahlreicher weiterer Entscheidungsvarianten und Reflexionen kommen die Soziologen
zu dem Schluss: Es gibt keine Patentlösung, die man den Frauen als Entscheidungshilfe
anbieten könnte. Allerdings würde es sich lohnen, das Thema in einer großangelegten
empirischen Studie zu untersuchen. Vielleicht könnte man so zumindest einige Gruppen
von Frauen herausfinden, die ähnliche Entscheidungsmuster verwenden. Je nach Bildungsgrad
oder Religionszugehörigkeit etwa. Außerdem stelle sich die Frage, ob nicht eine Entscheidungsberatung
im Sinne von Wissensvermittlung angezeigt wäre. Simbürger: “Aber dann, bevor die Frau
schwanger ist.”
Der nächste Studienpreis, diesmal zum Thema “Bodycheck - Wieviel Körper braucht der
Mensch”, wird im April ausgeschrieben. Simbürger und Saupe legen den Studierenden
die Teilnahme ans Herz, denn “neben dem Preisgeld bekommt man auch die Möglichkeit,
an Preisträgerkollegs teilzunehmen”. (Heide Korn)
Info:
www.studienpreis.de
Tel: 0049-40-72503920