Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Archiv
Auf der Datenautobahn des Internets sausen sie mit atemberaubender Geschwindigkeit daher: grässliche Geschichten über geschäftstüchtige Tierquäler, die "Bonsai"-Katzen im Glas züchten. Ketten-E-Mails, die vor gemeinen Attacken mit Aids-Spritzen oder Computerviren warnen. Tränenrührige Geschichten von krebskranken Kindern, die mit der höchsten Zahl an Genesungskarten ins Guinness-Buch der Rekorde gelangen wollen. "Nirgendwo kocht die Gerüchteküche so schnell und so heiß wie im Internet. Willkommen im Desinformationszeitalter", meint Bernd Harder.

Überprüfen

Der Journalist ist angetreten zum Tauchgang durch abstruse Geschichten, Verschwörungstheorien und Fantastereien, die gutgläubige Menschen immer wieder aufs Glatteis führen. Herausgekommen ist das 320 Seiten starke "Lexikon der Großstadtmythen". Es ist ein unterhaltsames und informatives Buch geworden, das in zwölf Kapiteln aufspürt, wie die Mythen entstanden sind, und vor allem: warum wir immer wieder auf sie hereinfallen. Und er ist beruflich vorbelastet: Harder schreibt für die Zeitschrift "Skeptiker" und ist Sprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften.

Maythen

Seine Erkenntnis: Viele Geschichten sind im Kern uralt und nur den modernen Zeiten angepasst worden. Sie sind Projektionsflächen für Spekulationen, Hoffnungen und Wunschvorstellungen in einer als zunehmend komplizierter empfundenen Welt. "Wandersagen passieren mehr oder weniger ungefiltert den kritischen Verstand, weil sie sich an eine andere, überlegene Instanz richten: an unser Gefühl", meint Harder.

Trümmerhaufen Netzrealität

Doch für ihn ist Skepsis Trumpf. Wundergläubigen und Esoterikern zerstört er gnadenlos ihre schönen Legenden. Auch Feng-Shui-Jünger, Homöopathie-Anhänger oder Horoskop-Leser finden bei ihm keine Gnade. Und die elektronische Flüsterpropaganda im Internet - die der "Verbreitung von Mythen und anderen Luftnummern eine ganz neue Dimension" gegeben hat - leistet nach seiner Ansicht nur dem Verlangen nach Skurrilem, Empörendem oder Merkwürdigen Vorschub: "Mit Leichtgläubigkeit hat das Phänomen der elektronischen Enten nur wenig zu tun. Das Faszinierende an Mythen bleibt trotz aller logischen Erklärungen: Es könnte ja doch etwas dran sein."

Muster

Vier typische Merkmale einer Internet-Ente identifizierte er: 1. Der Wahrheitsgehalt wird in der Meldung besonders hervorgehoben. 2. Ort und Zeitpunkt des Ereignisses sind nicht nachvollziehbar. 3. Wissenschaftliche Institutionen, Behörden etc. werden als Zeugen aufgeboten, ohne dass die Quelle nachprüfbar ist. 4. Im Text wird Wert darauf gelegt, dass die Nachricht möglichst rasch und an viele Personen weiterverbreitet wird. Harder bekennt, dass manche Mythen recht plausibel klingen. Sein augenzwinkerndes Fazit: "Manchmal klingen Großstadtsagen einfach zu gut, um falsch zu sein. Oder zu gut, um wahr zu sein? Egal. Eins von beiden eben." (APA)