Wenn es eine Mutter aller Einheitstheorien gibt, dann ist das wohl der alte britische Mythos von Fußball und Pop als den einzigen Auswegen aus tristen sozialen Verhältnissen. Will man ihn in klassischer Ausprägung hören, so dürfte eine Oasis-Biographie keine schlechte Quelle sein. Schon nach ein paar Seiten lässt sich Gitarrist Noel Gallagher nicht lumpen: »Als wir von der Schule gingen, da gab es für uns nur drei Möglichkeiten: Fußball, Musik oder Stempeln gehen.« Erwartungsgemäß perfekt: Noel ist wie sein jüngerer Bruder City-Supporter, schließlich kommt er aus Manchester. Bereits im zarten Alter von vier Jahren nahm ihn sein Vater an die mittlerweile abgerissene Maine Road mit. Dort sahen sie meistens nur das halbe Spiel, da der Eintritt ab der zweiten Halbzeit gratis war. Der kleine Noel wurde dann am unteren Ende der Tribüne abgesetzt, während sich Papa Gallagher nach hinten verzog und ein Bier genehmigte.

Diejenigen, die zugleich Fußball und Musik zu ihren größten Leidenschaften zählen, hören solche Geschichten sehr gern. Sie liefern eine schöne Bestätigung, dass Kicken und Pop doch irgendwie zusammenpassen. Fußball ermöglicht es nun einmal, sich Popmusiker als Durchschnittsmenschen aus Fleisch und Blut vorstellen zu können. Selbst Joy Divisions Ian Curtis hat nicht nur an Selbstmord und Sartre gedacht, sondern auch ein Probetraining bei Macclesfield Town absolviert. Aktiv kickende Musiker sind freilich in der Unterzahl, die meisten von ihnen finden sich auf den Tribünen ein und hoffen, dass elf Akteure das Richtige tun.

Dabei muss es allerdings nicht beim bloßen Konsum bleiben. Es gibt einige Musikanten, denen das nicht reicht. Die Toten Hosen retteten vor einigen Jahren den finanziell angeschlagenen Traditionsklub Fortuna Düsseldorf, indem sie als Hauptsponsor einstiegen. Billy Bragg schrieb für Fanzines von West Ham, während Thees Uhlmann von Tomte im »Übersteiger« beizeiten seine Beziehung zum FC St. Pauli darlegt. Der Münchner DJ Hell hat den FC Gigolo nach seiner Plattenfirma benannt und Fatboy Slim ist mit »Skint Records« noch immer Brustsponsor von Brighton & Hove Albion. Sein einstiger Bandkollege bei den Housemartins, Paul Heaton, war früher mit der Firm von Sheffield United gar in der dritten Halbzeit aktiv.

»Ruhige Popmusik« und Punkrock

Zu bröckeln beginnt die Brüderschaft von Ball und Mikro spätestens beim Musikgeschmack des durchschnittlichen Profifußballers. Eine alte Autogrammkarte von Peter Stöger sollte dafür als repräsentatives Beispiel dienen. Neben den Langeweilern Ambros und Fendrich ist unter der Rubrik Musik noch »ruhige Popmusik« zu lesen. Möglichst so ruhig, dass man dabei einschlafen kann. Dennoch können sich Kicker wirklich für Musik interessieren, sogar in Österreich. Didi Kühbauers Plattensammlung soll einen Mattersburger Lagerhaussilo füllen können, während DJ Michi Hatz als großer Liebhaber britischer Indiebands gilt.

»Skint Records« ist Brustsponsor von Brighton & Hove Albion

Natürlich gibt es auch anderswo einige musikbegeisterte Fußballer. Mehmet Scholl veröffentlichte seine Lieblingssongs als Compilation und Kevin Campbell von West Bromwich betreibt eine eigene Plattenfirma. Nicht zu vergessen der mittlerweile zurückgetretene Stuart Pearce, der seine Kollegen der englischen Nationalmannschaft im Teambus jahrelang mit Punkrock terrorisierte. Pearce ließ es sich auch während der EM 1996 nicht nehmen, ein Konzert der kurzfristig wiedervereinten Sex Pistols zu besuchen.

Andere Fußballer sind zwar keine ausgesprochenen Musikliebhaber, fanden sich aber im Laufe ihres Daseins bemüßigt, als Sänger in Erscheinung zu treten. Die dabei entstandenen Produkte sind in jeder Hinsicht erschütternd. Franz Beckenbauers schmächtiges »Gute Freunde« konnte ohnedies nur von ihm selbst überboten werden, was mit »1-0 für die Liebe« auch bestens gelang. Hierzulande definierte jahrelang Hans Krankls weinerliches Gekrächze »Lonely Boy« die Grenzen des schlechten Geschmacks, ehe er von Otto Konrad abgelöst wurde, der sich auf der Almhütte mächtig zuzuschütten wusste. Ähnliche Rauschmittel dürfte auch Jean Marie Pfaff verwendet haben, für den sich nach seiner Ankunft in München »Bayer« schon bald auf »Eier« reimte. Oder der österreichische Nationalspieler und Austria-Stürmer Hans Pirkner, als er »Tuat´s net schimpfn über mi« vor sich hin winselte. Selbst in England jaulte Kevin Keegan, nach getaner Arbeit zu müde für sexuelle Abenteuer zu sein (»It Ain‘t Easy«). In solchen Momenten bilden Fußballer und Popappeal einen unvereinbaren Gegensatz.

Neben den besagten Einlagen einzelner Kicker gibt es noch zwei weitere Kategorien von Fußballsongs. Einerseits von ganzen Teams gesungene Stücke, andererseits von so genannten Musikern aufgenommene Tracks. Die größten Verkaufserfolge erzielten dabei stets die im Vorfeld von Welt- und Europameisterschaften zu Männergesangsvereinen umfunktionierten Nationalteams. Obwohl die deutsche Auswahl von 1954 die erste Partie gewesen sein dürfte, die anlässlich einer WM gemeinsam ein Aufnahmestudio betrat, konnten die größten Erfolge in dieser Kategorie von Teams von der Insel verbucht werden.

Im Trikot in die Charts

Dort gab es schon im vorletzten Jahrhundert Vereinshymnen, womit ein fruchtbarer Boden für die ersten Fußballsingles in den Sechzigerjahren geschaffen war. Meistens wurde die Teilnahme an einem Cupfinale von den Vereinen genützt, um mit einem billig eingespielten Gassenhauer zusätzliche Einnahmen zu lukrieren. Am ehesten ließen allerdings Aufnahmen der Nationalmannschaft die Kassa klingeln. Während mit Manchester United erst eine einzige Klubmannschaft den Gipfel der Charts erklimmen konnte, gelang dem englischen Team dieses Kunststück gleich drei Mal. Zuerst mit der zur WM 1970 herausgegebenen Single »Back Home«, dann in den Neunzigerjahren durch Koproduktionen mit New Order (»World In Motion«) und den Lightning Seeds (»Three Lions«). Deutschland bewies bei der Wahl der Liedermacher kein so glückliches Händchen, Leute wie Udo Jürgens passten selbst in ihrer Glanzzeit besser zum 5-Uhr-Tee als ins Fußballstadion. Diese Weisheit drang im Laufe der Jahre vermutlich nicht bis zum ÖFB durch, der den treuherzigen Barden für Österreichs Beitrag zur WM 1998 verpflichtete.

Fußballsongs von mehr oder weniger professionellen Musikern gab es hierzulande schon sehr früh. Bereits in den Zwanzigerjahren wurde der Rapid-Stürmer Josef Uridil mit dem Schlager »Heute spielt der Uridil« besungen. Eine Ehre, die Jahrzehnte später auch Jahrhundertfußballer Herbert Prohaska zuteil wurde (»Hey Prohaska«).

Campino von den Toten Hosen würde zwar "niemals zu den Bayern gehen", dafür ist er ein großer Supporter von Fortuna Düsseldorf

Neben den angesprochenen Hommagen an Einzelspieler handeln Popsongs auch von Fußballklubs und deren Farben, Stadien und Fans. Selbst in drei Minuten kann die Treue der Anhängerschaft und die angeblich so tolle Stimmung im Stadion allerdings recht langweilig werden. Spätestens der Text offenbart Einblicke ins Handlungsmotiv vieler Musikanten. So gibt es außer einem fetten Scheck aus der damals noch existenten Rieger-Bank nur wenig schlüssige Erklärungen, warum die Zillertaler Schürzenjäger dem LASK ein Stück gewidmet haben. Wirklich problematisch wird es dann, wenn Welt- und Europameisterschaften als Anlass für die Vertonung chauvinistischer Überlegenheitsparolen herhalten müssen. So bliesen die Böhsen Onkelz anlässlich der EM 1984 zum »Frankreichüberfall«, um dort dem Gegner »vor die Füße zut pissen.«

Da nun die meisten Fußballfans keine Musiker sind, können sie ihre Gefühlswelt naturgemäß nicht in Popsongs vertonen. Dieser Aufgabe nehmen sich dann dahergelaufene Schwindler an, um finanziellen oder auch politischen Profit daraus zu ziehen. Dennoch gelang es einigen wenigen Musikern, die eigentliche Realität des Fanseins einzufangen. Über Meisterschaften und Pokale dürfen sich schließlich nur die wenigsten freuen, für die meisten Anhänger ist Fußball mit wenigen Höhepunkten, endloser Tristesse und verbockten Möglichkeiten verbunden. Für sie gibt es Tracks wie das großartig hingerotzte »These Nearly Nearly Glory Glory Days« von den Norbitones. Oder »Auswärtsspiel« von den Toten Hosen, in dem es heißt: »Ihr könnt uns schlagen so oft und so hoch ihr wollt, es wird trotzdem nie passieren, dass auch nur einer von uns mit euch tauschen will.«

Dukla unterm Weihnachtsbaum

Nummern wie diese sind wie Oasen in der Wüste der Fußballsongs. Dies dürfte mitunter daran liegen, dass sich Musiklabels nicht gerade darum reißen, schräge oder gar differenzierte Auseinandersetzungen mit dem Fußball an den Endverbraucher zu bringen. Mark E. Smith von The Fall wurde von seiner Plattenfirma schief angeschaut, weil er ein Stück über das Gewaltproblem im Fußball verfasst hatte (»Kicker Conspiracy«). Der alte Querkopf ließ sich aber ebenso wenig beirren wie die inoffiziellen Europameister des Genres, Half Man Half Biscuit. Die Legende will es, dass die Jungs aus dem Liverpooler Stadtteil Birkenhead für ein Heimspiel ihrer Tranmere Rovers einst einen wichtigen Fernsehauftritt sausen ließen. Fortan konzentrierten sie sich darauf, die Herzen von Fußballfans mit einem Faible für obskure Titel zu erobern. Sie wünschten sich Trikots von Dukla Prag (»All I Want for Christmas is a Dukla Prague Away Kit«) und erkannten schon bald, dass Dauerkarten nur etwas für Lebende sind (»Dead Men Don‘t Need Season Tickets«).

Liam Gallagher von der englischen Band Oasis bei seinen Citizens von ManU-Stadtrivalen Manchester City

Abseits der Proberäume Birkenheads finden die oft gegensätzlichen Brüder Fußball und Popmusik noch am ehesten in den Stadien zueinander. Einerseits ist dort Musik als notorische Zwangsbeglückung über die Lautsprecherboxen allgegenwärtig, andererseits fungiert Pop im Stadion als melodische Grundlage vieler Fangesänge.

Angefangen hat die Rezeption von Popmusik in Liverpool, wo die Fans in den Sechzigerjahren begannen, Songs lokaler Acts wie der Beatles oder von Gerry & The Pacemakers am Stehplatz zu kopieren. Auf diese Weise sangen Liverpools Anhänger zum ersten Mal »You‘ll Never Walk Alone«, den international wohl meist verbreiteten Stadiongesang. Bis heute ist die Überschneidung von Fußball und Pop im Fansektor offenkundig. Die Melodie von »Go West« von den Pet Shop Boys erreichte mit den Dortmunder Fans halb Europa, »Sailing« von Rod Stewart ist die melodische Basis der inoffiziellen Vereinshymne von Millwall und in Wien-Dornbach erlebt selbst Peter Cornelius (»Du entschuldige, i kenn‘ di«) eine Renaissance.

Berührungspunkte

Popmusik fungiert aber nicht nur als Melodie des Fangesangs, sie kann auch konkret etwas bewirken. Musiker können finanzielle Mittel einspielen, ob für die Opfer von Hillsborough oder den bankrotten FC St. Pauli. Jedoch können sie keine Spieler dazu bringen, auf lukrative Karrieresprünge zu verzichten. KWS aus Nottingham erstürmten mit »Please Don‘t Go« zwar die britischen Charts, den Wechsel von Des Walker nach Italien verhinderten sie damit jedoch nicht. So sind Fußball und Pop eben wie zwei Brüder, die eigentlich zusammenpassen sollten, was in den meisten Fällen aber nicht funktioniert. Den Schürzenjägern sei Dank.

Nur einige wenige Momente zeigen, wie perfekt sie sich im Idealfall ergänzen könnten. Wenn sich beispielsweise Noel Gallagher den Traum erfüllt, selbst einmal dort aufzuspielen, wo er schon als Vierjähriger seine Helden im hellblauen Shirt bewundert hat. Oasis vermochten im April 1996 die Maine Road zu füllen, sangen mit dem Publikum ein gemeinsames Spottlied in Richtung Old Trafford und verkauften die Show anschließend als Video. Kurzum, sie blieben auch im Fußballstadion bei ihrem erlernten Job und hatten damit Erfolg. Im Gegensatz zu unzähligen Fußballern wie Beckenbauer, Keegan oder Krankl, die dummerweise auch Popstars sein wollten. (Robert Hummer)

Der neue Ballester:

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