Cartoon: Oliver Schopf, austrianillustration.com

Cartoon: Oliver Schopf
Die neue Devise der Wettbewerbshüter in Brüssel heißt "private enforcement": Unternehmen und Verbraucher sollen gegen Kartellrechtsverstöße verstärkt mit Schadenersatzklagen gegen Mitbewerber vorgehen. Diese Politik will zwei Fliegen mit einem Schlag treffen.

Zum einen soll diese Vorgangsweise EU-Kommission und nationale Wettbewerbsbehörden entlasten. Zum anderen sollen Marktteilnehmer, die durch wettbewerbswidriges Verhalten Nachteile erlitten, nun auch dafür entschädigt werden.

Dies soll laut EU-Kommission vor allem den Verbrauchern nützen, die in Europa bisher wenig Chancen hatten, sich gegen verbotene Kartelle und Missbrauch von Marktmacht effektiv zur Wehr zu setzen.

Rolle der nationalen Gerichte betont

Die neue Kartellverfahren-VO Nr 1/2003 betont die Rolle der nationalen Gerichte bei der Umsetzung des EU-Kartellrechts und fordert die Zuerkennung von Schadenersatz bei Wettbewerbsverstößen. Dies entspricht auch der neueren Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (Fall Courage, Rs C-453/99).

Danach dürfen nationale Gesetze nicht darauf hinauslaufen, Opfer von Kartellverstößen an der Geltendmachung von Schadenersatz zu hindern. Im Auftrag der Kommission untersuchte eine Studie, der Ashurst-Report (auf www.europa.eu.int abrufbar), die Bedingungen, unter denen (juristische und natürliche) Privatpersonen vor den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten Schadenersatz wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln erlangen können.

Ergebnis: Während in den USA rund 90 Prozent aller Kartellverfahren auf Schadenersatzklagen Einzelner basieren, sind es in Europa weniger als zehn Prozent. Jetzt arbeitet die Kommission an einem Grünbuch zur Förderung des "private enforcement".

Zwar besitzen nur wenige EU-Staaten ausdrückliche gesetzliche Grundlagen für die Geltendmachung von Schadenersatz wegen Kartellverstößen. Und nur in England gibt es für derartige Klagen ein spezielles Gericht. Dennoch sind dies nicht die Haupthindernisse.

Finnland und Schweden z.B. schließen Verbraucher von der Geltendmachung von Wettbewerbsverstößen überhaupt aus. Und in praktisch allen EU-Staaten sind Instrumente kollektiver Rechtsdurchsetzung (Sammel- oder Gruppenklagen) zur Geltendmachung von Massenschäden noch sehr unterentwickelt.

Keine Auskunftspflicht

Solange Geschädigte aber nicht die Möglichkeit haben, ihre Klagen kosteneffizient zu bündeln, werden sie häufig vor einer gerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderungen zurückschrecken.

Vor allem aber haben potenzielle Kläger oft keinen Zugang zum entscheidenden Beweismaterial. Im Gegensatz zur amerikanischen "pre-trial discovery" sind Beklagte in Europa meist nicht verpflichtet, ihren Gegnern Auskunft über belastende Umstände zu gewähren.

Wenn es die EU mit dem "private enforcement" ihrer Wettbewerbsregeln ernst meint, wird sie Geschädigten daher den Zugang zu jenen Informationen ermöglichen müssen, die für erfolgreiche Zivilklagen unverzichtbar sind.

Unternehmen sollten primär durch rechtzeitige Prüfung ihrer wettbewerbsrelevanten Verträge, aber auch ihrer sonstigen Unternehmensstrategien, insbesondere im Vertriebsbereich, sicherstellen, dass ihr Verhalten mit dem Kartellrecht im Einklang steht.

Falls ein Unternehmen dennoch mit einer Schadenersatzklage und - in diesem Zusammenhang - mit einem Auskunftsverlangen konfrontiert ist, müssen vertrauliche Informationen angemessen geschützt werden. Dies kann durch entsprechende Vereinbarungen mit dem Kläger oder, bei Nichteinigung, durch gerichtliche Auflagen (so genannte "protective orders") erreicht werden. (DER STANDARD Printausgabe, 14.12.2004)