Sich bei der Vergangenheitsbewältigung mit Einzelschicksalen wie jenem der Anne Frank zu befassen macht die "Ungeheuerlichkeit" klarer.

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STANDARD: Gab es in Österreich Vergangenheitsbewältigung was den Nationalsozialismus betrifft?

Garscha: Die wichtigste Periode der Bewältigung war die Auseinandersetzung mit Kurt Waldheim und seiner Kriegsvergangenheit. Man hat sich da mit etwas beschäftigt, das lange Zeit vernachlässigt worden ist: die Beteiligung der Österreicher an den NS-Verbrechen. Und zum ersten Mal haben Politiker von Österreichern auch als Täter gesprochen. Da ist einiges ins Lot gekommen.

STANDARD: Ist das Gedenkjahr eine sinnvolle Möglichkeit, Geschichte aufzuarbeiten?

Garscha: Die Gefahr ist, dass die Leute das überkriegen und sagen "Ja, das haben wir schon gehört". Andererseits reagiert man mit Sensibilisierung darauf, wenn die Medien voll sind mit einem Thema - auch wenn Abwehr besteht. Man sollte diese Sensibilisierung bei historischen Gedenkjahren dazu nutzen, um kritische Fragen zu stellen.

STANDARD: An welche Fragen denken Sie?

Garscha: An ganz einfache Fragen. Wenn man 50 Jahre Staatsvertrag feiert, feiert man auch den Abzug der Alliierten aus Österreich. Da kann man einfach fragen: Warum waren ausländische Soldaten hier? Wenn man so ein Ereignis feiert, ergeben sich immer Fragen die weiter zurück in die Vergangenheit führen.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass Schüler gut informiert sind?

Garscha: Ich sehe, dass sie über ein breites Wissen verfügen, wenn sie zu uns ins Archiv kommen. Und ich hoffe immer, dass sie mit mehr Wissen, aber vor allem mit mehr Fragen bei uns raus gehen. Die Hauptsache ist, richtige Fragen zu stellen.

STANDARD: Ist die Auseinandersetzung mit Einzelschicksalen der NS-Zeit wie Anne Frank zur Aufarbeitung wichtig?

Garscha: Das ist sehr wesentlich, weil die Ungeheuerlichkeit nachvollziehbarer wird. Wenn ich sage, so viele zigtausende Menschen sind umgebracht worden, ist das eine abstrakte Zahl. Wenn ich mir die Menschen konkret vorstellen kann, entsteht ein emotionales Bild in meinem Kopf.

STANDARD: Inwieweit muss das sachlich untermauert sein?

Garscha: Unbedingt muss es das sein, sonst kann man die Schicksale nicht einordnen. Man muss die Dinge in einen Kontext bringen, das hat nichts mit der Wertung von Menschenleben zu tun. Wenn ich sehe, dass der Grund, weshalb jemand verfolgt wird, der ist, dass er in seinem Ahnenpass jüdische Vorfahren hat, dann ist das etwas anderes, als wenn der Grund der ist, dass er in einer Partei ist, die viele Verbrechen begangen hat.

STANDARD: Ist Österreich übersensibel was die Political Correctness betrifft?

Garscha: Es gibt in Österreich leider eine totale Unempfindlichkeit was Sprache betrifft, historisch gesehen. Man ist oft erstaunt, dass Leute sich nicht bewusst sind über Ausdrücke und deren Wirkung. Andererseits muss man auch aufpassen, dass durch diese Political Correctness keine Denkverbote kommen, die nicht mehr hinterfragt werden dürfen. Man sollte sich bewusst sein, was die Begriffe bedeuten und wie man mit ihnen umgeht.

STANDARD: Wie sehen Sie das Problem der Entnazifizierung?

Garscha: Ich will nicht jedem Nationalsozialisten unterstellen, dass er ein Sympathisant von Mördern war, aber es war ihm egal. Das ist ein echtes Problem der Entnazifizierung nach 1945. Man hat alles bürokratisch gelöst, aber sich nicht inhaltlich mit dem beschäftigt, was noch in den Köpfen der Nationalsozialisten war. Das ist zu kurz gekommen.

STANDARD: Hat sie dann schließlich stattgefunden?

Garscha: 1965 - das ist ein Jubiläum an das keiner denkt - wird am 31. März ein Pensionist in Wien aus politischen Gründen erschlagen. Bei Demos für und gegen einen Nazi-Professor bekommt er einen Kinnhaken von einem Burschenschafter und stirbt. Gemeint ist Ernst Kirchweger. Da war dann wirklich Feuer am Dach. Und auf einmal hat man gefragt, wie es das gibt, dass die jungen Leute wieder die alten Nazi-Lieder grölen. Dann haben eben Leute angefangen zu fragen, ob wirklich so etwas wie Aufklärung betrieben worden ist. Diese Vergangenheitsbewältigung wird so lange dauern, so lange die Folgen davon spürbar sind. Worum es mir geht ist, das Problembewusstsein zu stärken und da sind Gedenkjahre - auch wenn sie von oben verordnet werden - doch ganz nützlich.  (DER STANDARD-Printausgabe, 15.3.2005)