Wenn man dieser Tage mit ÖVP-Sympathisanten jenseits der politischen Marktschreierei die Lage ihrer Partei als Partner im ganz normalen Koalitionsdauerwahnsinn erörtert, dominieren drei Stimmungen:

Viele sind peinlich berührt, enttäuscht oder gar angewidert, dass "ihre" ÖVP sich für so etwas noch hergibt, weil sie das Schauspiel kaum noch ertragen. Sie repräsentieren die moralische Seite der Volkspartei.

Andere haben - von der inhaltlichen Seite her - einfach die Nase voll von einer Koalition mit Freiheitlichen, mit denen sich anspruchsvolle, zukunftsgerichtete Politik nicht machen lässt.

Einer dritten Gruppe macht die nachhaltige Zukunft der ÖVP Sorgen, wenn das Regierungsblendwerk unter der Machtmaschine Schüssel zusammenbricht, wie das ein ehemaliger Spitzenmann der ÖVP sieht: "Es ist immer gelogen worden in der Politik, aber was da jetzt vor sich geht, das ist unglaublich."

"Gelassen" und "unaufgeregt", wie es aus den Mündern der VP-Ministertruppe um Schüssel sektengleich tönt - ganz so, als äußerten sich Sprechautomaten, aber nicht Individuen - zeigen sich hingegen die wenigsten. Begeistert ist sowieso niemand.

Dieser Zustand verheißt der ÖVP wenig Gutes: Sie muss schon sehr, sehr viele Verrenkungen aufführen, um ihre offensichtliche politische Lebenslüge wegzudrücken, weil sie im süßen Rausch des Regierens "vergessen" hat, dass Grundsätze auf lange Sicht so wichtig sind wie Macht. Wo es nur noch um die Macht geht, geht am Ende auch der kleinste moralische Anspruch, der "Anstand" verloren. So ist das meistens mit Machthabern. Wofür die SPÖ unter Bruno Kreisky dreizehn Jahre gebraucht hat, brauchte die ÖVP unter Wolfgang Schüssel gerade mal fünf: Sie ist zum reinen Kanzleranbetungsverein geworden. (Thomas Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 1.4.2005)