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Wenn Kontrolle und Unrechtsbewusstsein fehlen, werden mitunter Hochzeitsfeiern nicht aus der eigenen Tasche bezahlt

Foto: REUTERS/Mushtaq Muhammed

Vor eineinhalb Jahrzehnten erhielten mehrere Regionen in Italien umfassende Autonomierechte. Doch die Erfahrung zeigt, dass die Politik diese Kompetenzen oft schamlos missbraucht. Nun will Rom die Verfassung ändern.

Carlo Sanjust ist Sprössling einer traditionsreichen Adelsfamilie aus dem sardischen Teulada. Seine Hochzeit feierte der 39-Jährige standesgemäß mit einem Empfang für 300 geladene Gäste in der historischen Festung von San Remy in der Regionalhauptstadt Cagliari. Die Rechnung von 24.000 Euro beglich Sanjust mit mehreren Schecks von Silvio Berlusconis PdL-Fraktion im sardischen Regionalrat. Es ging schief: Nur wenige Monate später verhaftete die Polizei den Adeligen. Nach Rückerstattung der veruntreuten Summe peilt Sanjust nun ein verkürztes Justizverfahren an.

Ahnungslos hatten die 300 Hochzeitsgäste in Cagliari noch auf einen zweiten, engen Bund angestoßen: jenen zwischen Autonomie und Misswirtschaft.

Die Skandalserie in Italiens Regionen nimmt kein Ende, und ihre Ausmaße wirken beeindruckend: Gegen 573 Abgeordnete laufen Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren wegen Amtsmissbrauchs, Veruntreuung öffentlicher Gelder, Korruption und Betrugs. In der Lombardei, im Latium, Piemont, auf Sardinien und in der Basilikata stürzten die Regierungen über die Skandale.

Rasenmäher, Porzellan ...

Jüngster Fall: Kalabriens Präsident Giuseppe Scopelliti wurde vor wenigen Wochen wegen Betrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt und von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Zwei Wochen später verkündete er unbeirrt seine Kandidatur für die Europawahlen. Von Sizilien bis nach Piemont bedienten sich hunderte Abgeordnete ungehemmt aus öffentlichen Kassen, ließen sich mangels Kontrollen private Rechnungen aller Art rückvergüten; vom Hochzeitsgeschenk bis zum Rasenmäher, von teurem Porzellan bis hin zu Juwelen.

Diese "spese pazze" (verrückte Ausgaben) wurden letzthin auch dem selbsternannten Saubermann der Lega Nord, Roberto Cota, zum Verhängnis: Der 45-jährige Präsident der norditalienischen Region Piemont erstattete 32.000 Euro zurück, die er nach Überzeugung der Staatsanwälte zweckentfremdet hatte. Cota leugnete wochenlang hartnäckig, bis die Ermittler anhand seiner Handy-Metadaten bewiesen, dass sich der Lega-Mann in 115 Fällen nicht in jener Stadt aufgehalten hatte, aus der er jeweils üppige Restaurant-Rechnungen vorgelegt hatte. Im piemontesischen Regionalrat in Turin hat nur ein einziger Lega-Abgeordneter der Versuchung zur Selbstbedienung widerstanden.

In der Nachbarregion Lombardei musste der mächtige "governatore" Roberto Formigoni nach Ermittlungen gegen zahlreiche Abgeordnete zurücktreten. Ungeachtet dessen ließ sich der Vorzeigekatholik wenig später in den römischen Senat wählen.

Sein Landesrat für Wohnbau, Domenico Zambetti, wurde wegen Zusammenspiels mit der Mafiaorganisation 'Ndrangheta verhaftet. Zu den 65 angeklagten Abgeordneten in Mailand gehört auch Renzo Bossi, der Sohn des Lega-Gründers Umberto, der sich skrupellos an den Fraktionsgeldern bereicherte.

... und Autos auf Parteikosten

Begonnen hatte die verhängnisvolle Serie im September 2012 in der Hauptstadtregion Latium mit der eklatantesten Affäre: Dort hatten mehrere Berlusconi-Abgeordnete um den bulligen Fraktionschef Franco Fiorito Millionensummen für private Zwecke missbraucht; hatten in exklusiven Boutiquen eingekauft und mit Freunden in teuren Restaurants gespeist. Der mittlerweile zu einer Haftstrafe verurteilte Fiorito hatte sich aus der Fraktionskasse sogar ein Auto gekauft. Empört betrachteten die Bürger Fotos von altrömischen Gelagen und Exzessen aller Art.

Sogar der Fraktionssprecher der Partei Italien der Werte, die unter der Führung von Ex-Staatsanwalt Antonio Di Pietro zur Moralisierung Italiens angetreten war, wurde verhaftet: Er hatte eine Million aus der Parteikasse zweckentfremdet und davon 100.000 Euro beim Glücksspiel verloren. Doch schon bald stellte sich heraus, dass dieser haarsträubende Skandal bloß eine Spitze des Eisbergs war. Allein in der Lombardei laufen Prozesse und Ermittlungen gegen 65 Abgeordnete. In Sizilien sind es 83, in Sardinien 46, im Piemont 40, in Kampanien 53.

Als die linke Regierung von Giuliano Amato 2001 mit einer Verfassungsreform die Autonomie der Regionen einführte, wurde die Dezentralisierung als positiver Schritt in Richtung Föderalismus gefeiert. Doch die Skandalserie beweist, dass in den folgenden Jahren nichts gründlicher dezentralisiert wurde als Korruption und Misswirtschaft.

Allein der Betrieb der Regionalparlamente verschlingt eine Milliarde Euro pro Jahr. 156 Millionen kostet der Regionalrat in Sizilien. Die autonome Insel ist mit fünf Milliarden Euro verschuldet. Jeder Abgeordnete kostet im Schnitt 200.000 Euro jährlich.

Vorerst letzte Station des Skandalkarussells ist die Region Trentino-Südtirol, wo Vorschüsse in Millionenhöhe auf Politikerpensionen einen Sturm der Entrüstung auslösten und die allmächtige Südtiroler Volkspartei (SVP) ins Wanken brachten (s. unten).

Nun will sich der Staat wichtige Zuständigkeiten zurückholen und den permanenten Kompetenzstreit beenden. Rom will sich mit einer Verfassungsnovelle die Bereiche Verkehr, Energie und Umweltschutz zurückholen.

Die Regionen protestieren lautstark und warnen vor einer "fatalen Rückkehr zum Zentralismus": "Was der Staat mit der einen Hand gibt, nimmt er sich mit der anderen", erregt sich Luca Zaia, Präsident von Venetien, wo letzthin in einem umstrittenen Referendum die Loslösung vom ungeliebten Staat gefordert worden war.  (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD, 19.5.2014)