Ein Chip mit zehntausend Mikrolinsen erfasst das Objekt – hier eine Zebrafischlarve – gleichzeitig aus vielen unterschiedlichen Winkeln.

Foto: IMP

Kopfbereich und Großteil des Gehirns einer Zebrafisch-Larve, aufgenommen und rekonstruiert mithilfe des Lichtfeld-Mikroskops.

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Wien - Live-Übertragungen aus dem Nervensystem lebender Organismen in bisher unerreichter räumlicher und zeitlicher Auflösung ermöglicht eine neue Technik, die Wiener Forscher gemeinsam mit US-Kollegen entwickelt haben. Mit Hilfe der neuen Mikroskopie-Technik lässt sich die gesamte Gehirnaktivität mit einer Auflösung bis zu einzelnen Neuronen beobachten, berichten die Forscher aktuell im Fachjournal "Nature Methods".

Es ist eine fundamentale Frage, wie sich unser Gehirn durch die von Sinnesorganen wahrgenommen Informationen ein Bild von der Welt macht, wie diese Informationen verarbeitet werden und letztlich zu Entscheidungen und Verhaltensmustern führen. Die Möglichkeit, diese Kausalkette in ihren Einzelheiten nachzuvollziehen, war bisher stark eingeschränkt. Es fehlten die nötigen Technologien, mit denen die Aktivität großer Netzwerke von Nervenzellen spezifisch manipuliert und gleichzeitig erfasst werden kann.

3D-Rekonstruktionen aus einzelnen Bildern

Einem Forscherteam um den Wiener Physiker Alipasha Vaziri gelang es nun, die neuronale Aktivität des gesamten Gehirns von Modellorganismen mit hoher räumlicher und bisher unerreichter zeitlicher Auflösung abzubilden. Die Methode, die gemeinsam mit Forschern des MIT in Cambridge entwickelt wurde, erlaubt die Rekonstruktion von dreidimensionalen Daten aus einzelnen Bildern.

Schon bisher konnte man die Aktivität von Neuronen mit Hilfe fluoreszierender Proteine in genetisch veränderten Organismen sichtbar machen. Allerdings, war es bis vor kurzem nicht möglich, gleichzeitige Aktivitätsänderungen von großen Nervenzellnetzen mit Einzelneuron-Präzision zu erfassen.

„Genau das ist aber unabdingbar, um zu verstehen, wie die beachtlichen Leistungen des Gehirns bei der Verarbeitung von Sinnesreizen oder der Planung von Bewegungsabläufen zustande kommen“, sagt Alipasha Vaziri, Gruppenleiter am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) und an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) in Wien.

Video: Mit der Technik ist es erstmals möglich, einen 3D-Film von der gesamten Gehirnaktivität eines Säugetieres auf einer Millisekunden-Zeitskala zu erstellen.
Massachusetts Institute of Technology (MIT)

Zehntausend Mikrolinsen

Für das neue Verfahren haben die Wissenschafter einen münzgroßen Chip entwickelt, der zehntausend Mikrolinsen enthält. Das zu untersuchende Objekt wird so mit einer einzigen Aufnahme aus unterschiedlichen Winkeln gleichzeitig abgebildet. Aus einzelnen Mikroskopiebildern können so dreidimensionale Daten rekonstruiert werden. Damit können die Wissenschafter Objekte mit einem um bis zu tausendfach größeren Volumen als bisher erfassen und auch zehnfach schnellere Veränderungen beobachten.

Die Forscher wendeten die neue Methode bereits erfolgreich an unterschiedlichen Systemen an. In Fadenwürmern der Art C. elegans, deren Nervensystem nur 300 Neuronen umfasst, konnten sie mit der neuen Technologie nicht nur die Aktivität des Gehirns erfassen, sondern auch alle anderen Nervenverbindungen, etwa zu den Muskeln.

Simultane Gehirnaktivität erfasst

Auch Larven des Zebrafischs, deren Nervensystem rund 100.000 Neuronen umfasst, wurden untersucht. Wie beim Menschen "feuern" die Tiere Nervenpulse im Millisekunden-Bereich. Die Forscher stimulierten die rund 500 Nervenzellen im Riechorgan der Larven mit vergorener Fischbrühe - ein äußerst abstoßendes Aroma für diese Tiere. "Gleichzeitig erfassten wir die Gesamtaktivität des Gehirns und konnten dabei simultane Aktivität in über 5.000 Nervenzellen in Gehirn feststellen, die Signale vom Riechorgan erhielten", sagte Vaziri.

Die Forscher hoffen, eines Tages zu verstehen, wie das Gehirn Informationen repräsentiert und diese verarbeitet, um Entscheidungen zu treffen. "Letztlich wollen wir damit den vom Gehirn benutzten Algorithmen auf die Spur kommen", so Vaziri. Daraus könnte man dann eines Tages rechnerische Modelle von Verhaltensabläufen entwickeln, um Voraussagen für bestimmte Handlungen zu treffen. (red, derStandard.at/APA, 19.5.2014)