Juan Manuel Santos hat Fortschritte für Kolumbien erwirkt, doch eine zweite Amtszeit ist keineswegs gesichert.

Bogotá/Puebla - Ein Waffenstillstand der Rebellengruppen und ein Teilabkommen in den Friedensverhandlungen mit der Farc-Guerilla: Was Präsident Juan Manuel Santos zuletzt den Kolumbianern verkündete, dürften seine letzten Asse vor dem Urnengang am Sonntag sein. Dort ist seine Wiederwahl nicht sicher. Viel bietet dieses vierte von sechs Teilabkommen nicht. Hauptsächlich ist es ein Bekenntnis zur Bekämpfung des Drogenhandels und zu einem Verzicht der Bauern auf den Kokaanbau. Vonseiten der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) ist es vor allem ein symbolisches Signal für Santos.

Santos ist zwar nicht der erste Präsident, der mit den Farc verhandelt, aber noch nie in den letzten 50 Jahren Bürgerkrieg standen die Chancen auf Frieden so gut. Das hat zwei Gründe: Santos' Interesse, das Land zu modernisieren und als Friedenspräsident in die Geschichte einzugehen; und die Tatsache, dass die Farc am Verhandlungstisch mehr zu gewinnen haben als auf dem Schlachtfeld, da sie militärisch am Tiefpunkt sind - was vor allem Santos' ultrarechtem Vorgänger Alvaro Uribe zu verdanken ist.

Und Uribe ist Santos größter Gegenspieler: Selbst tritt er nicht an, aber er schickt Óscar Iván Zuluaga ins Rennen. Ein Friedensabkommen wäre "das Ende der Demokratie", warnt Zuluaga. Es gilt also - grob vereinfacht - die Formel: Krieg oder Frieden.

Dass Zuluaga mit seiner Kriegstreiberei ankommt, mag auf den ersten Blick überraschen in einem Land, das einen hohen Blutzoll gezahlt hat: 220.000 Tote und fast sechs Millionen Vertriebene seit 1960. Doch Krieg bedeutet auch gute Geschäfte. In den vergangenen 50 Jahren hat sich ein Raubkapitalismus etabliert, dessen Speerspitze die Todesschwadronen waren, die eng mit Militärs und der politischen Elite kooperierten. Unter dem Vorwand der "Kooperation mit der Guerilla" vertrieben oder ermordeten sie Bauern und Landbesitzer.

Brandherd Landfrage

Was sich die Paramilitärbosse unter den Nagel rissen, muss laut Demobilisierungsabkommen von 2005 und Opfergesetz von 2011 zurückgegeben werden. Doch vieles ist inzwischen verscherbelt an einflussreiche Geschäftsleute und multinationale Konzerne. Die Verfahren laufen schleppend, oft gibt es Drohungen. Die Landfrage bleibt weiterhin ein Brandherd.

Dass diese Machenschaften nach einem Friedensabkommen zutage treten könnten, ist eine der Hauptsorgen Uribes, der auch im Militär über einflussreiche Netzwerke verfügt. Neulich flog eine Gruppe Offiziere auf, die die Unterhändler der Regierung ausspionierten und Informationen manipulierten, um den Friedensprozess zu boykottieren.

Umfragen zufolge unterstützen 64 Prozent der Kolumbianer den Friedensprozess. Dass sich das nicht gleichermaßen auf Santos überträgt, hat vor allem mit dessen arrogant wirkender Art, Klientelismus und der liberalen Wirtschaftspolitik zu tun. Die hat dem Land zwar ein robustes Wachstum beschert und es zur drittgrößten Wirtschaftsmacht Lateinamerikas gemacht; doch umverteilt wurde vom Wohlstand nur wenig. Zuluaga nutzt den Unmut geschickt aus.

Momentan will ein Drittel der Kolumbianer für Zuluaga stimmen, ein Drittel für Santos. Eine Entscheidung wird wohl erst die Stichwahl im Juni bringen. Und da dürfte Santos die besseren Karten haben: Sowohl die Wähler der Grünen als auch die Linken, die im ersten Wahlgang eigene, chancenlose Kandidaten stellen, stehen ihm näher. (Sandra Weiss, DER STANDARD, 20.5.2014)