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Es ist nicht wichtig, ob Care-Arbeit in der Familie oder außerhalb der Familie getan wird, sondern es ist wichtig, dass sie gut getan wird, und zwar gut sowohl aus Perspektive derjenigen, die sie tun, als auch aus der Perspektive derjenigen für die sie getan wird.

Foto: APA/Patrick Pleul

Neulich schrieb meine meine Denkfreundin Ina Praetorius irgendwo in diesem Internet (ich finde nicht mehr, wo), dass wir Familienpolitik abschaffen sollten zugunsten einer Politik des guten Lebens für alle.

Den Gedanken will ich hier mal festhalten, denn wenn wir das ernst nehmen, können wir uns all den Streit über die Definition von Familienformen und wer nun eine Familie ist und wer nicht, sparen. Es geht bei den Debatten über Vereinbarkeitsprobleme, Karrierefrauen, Latte Macchiato-Mütter, Krippenplätze etcetera pp. nämlich nicht um Familien. Sondern es geht um das gute Leben. Und um Wirtschaft.

Ungleiche Verteilung

Ich möchte bei der Gelegenheit noch auf einen anderen Aspekt hinweisen, an dem die Debatten häufig schief laufen, und zwar auf den Punkt, an dem über die ungleiche Verteilung von zum Beispiel Hausarbeit, Geldeinkommen, Führungspositionen und so weiter zwischen Frauen und Männern geredet wird. Ich selbst weise auf diesen Gender-Gap auch häufig hin, weil er wichtig für die Analyse ist. Man darf aber nicht die falschen Schlüsse daraus ziehen.

Das deutsche patriarchats-nostalgische (Triggerwarnung) Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie hat kürzlich die Mikrozensus von 1996 und 2012 verglichen und zusammengetragen, was sich bei der Verteilung von Haus- und Erwerbsarbeit (nicht) verändert hat. Demnach teilen sich heute nur 14 Prozent aller Paare mit Kindern unter 18 die Erwerbsarbeit gleichmäßig auf, das sind sogar weniger als vor 16 Jahren. Das vorherrschende Modell ist der Vollzeit erwerbsarbeitende Mann in Kombination mit Teilzeit erwerbsarbeitender Frau (Anstieg von 30 auf 40 Prozent), und auch das Alleinernährermodell gibt es noch, gut ein Viertel der verheirateten Eltern wählen es.

Zwei Fraktionen 

Wenn es an die Interpretation dieser Befunde geht, dann stehen sich normalerweise zwei Fraktionen gegenüber:

Auf der einen Seite die, die diese Ungleichverteilung bekämpfen möchten, indem sie Programme auflegen, die dazu führen sollen, dass Frauen mehr Erwerbsarbeit machen und Männer mehr Hausarbeit, am besten mit dem Idealziel von fein säuberlich fifty-fifty in allen Bereichen. Also das Modell Vollzeit für alle plus Krippenplätze, da muss man sich halt mal ein bisschen anstrengen, so als Eltern, und die Kinder nicht so betüddeln. Die Vernünftigeren dieser Fraktion denken über eine reduzierte Vollzeit nach, damit der Stress nicht allzu groß wird.

Auf der anderen Seite stehen die, die sagen: Die traditionelle Familie war doch die beste. Sicher, es ist schön, wenn sich die Frauen heute in Teilzeit ein bisschen selbst verwirklichen, dann jammern sie nicht so rum und man muss als Mann nach der Scheidung auch nicht so viel Unterhalt bezahlen. Aber die Mutter (oder, in gleichberechtigtem Jargon: irgendjemand Festes) gehört halt doch zum Kind. Und wollen es die Frauen nicht schließlich selber so? Die Vernünftigeren dieser Fraktion bringen an dieser Stelle noch das Grundeinkommen ins Spiel, damit die nicht berufstätigen Hausfrauen auch ein bisschen Geld für sich haben. Hauptsache, sie lassen ihre Kinder nicht “fremdbetreuen”.

Beide Fraktionen sehen die Sache meiner Ansicht nach falsch.

Aus den Zahlen, also der Tatsache, dass sich trotz aller sonstigen Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter in den vergangenen zwanzig Jahren kein Trend zur vollen Erwerbsarbeit bei den Frauen ausmachen lässt und kein Trend zur vollen Fürsorgearbeit bei den Männern, lässt sich weder ablesen, dass noch nicht genug “Anreize” für eine solche Veränderung geschaffen worden wären, noch dass “die Leute es eben so wollen und man sie nicht umerziehen kann”.

Rationale Entscheidung

Es gibt nämlich noch eine dritte Möglichkeit, und zwar die, dass die Leute sich einfach bloß rational und vernünftig entscheiden – für die am wenigsten schlechte Möglichkeit angesichts der Verhältnisse.

Und diese Verhältnisse sind so, dass sie vernünftige und rationale Menschen in ein Dilemma bringen, sobald Fürsorgearbeit zu leisten ist. Ein Fall, der häufig – aber keineswegs nur – eintritt, wenn ein Kind zur Welt kommt. Er wird in Zukunft sich immer häufiger auch im Fall von Pflegebedürftigkeit älterer Menschen stellen – das Phänomen ist nur deshalb noch nicht so deutlich auf der Agenda, weil die Generation der älteren Frauen, die normalerweise Pflegearbeit machen, noch nicht im gleichen Maße berufstätig waren wie die jüngeren.

Sobald sich also die Notwendigkeit von Fürsorgearbeit stellt, stehen Menschen vor der Frage: Soll ich meine Berufstätigkeit einschränken oder ruhen lassen und damit weniger Geld, weniger Aufstiegsperspektiven, weniger Einfluss in der Welt in Kauf nehmen? Mit dem Vorteil, dass ich dann aber Zeit und Ruhe für die Fürsorgearbeit habe? Oder soll ich versuchen, beides zu “vereinbaren” soweit es geht, auch wenn das Riesenstress bedeutet?

Verteilung der Fürsorgearbeit

Der Skandal an dieser Stelle ist nicht, dass es häufig die Frauen sind, die sich hier angesichts der Notwendigkeiten für Teilzeit oder Berufsunterbrechung entscheiden. Der Skandal ist, dass sich diese Wahl überhaupt stellt.

Und der Grund dafür ist eben dieses Bild von “Familie”, das wir im Kopf haben und das unterstellt, dass Fürsorgearbeit etwas Privates sei. Bei dem die Gesellschaft vielleicht an der einen oder anderen Stelle ein paar Kekse verteilt, die ein oder andere Steuererleichterung oder auch mal einen Krippenplatz oder ein Stündchen Pflegedienst.

Die heteronormative Ehe war, wie ich an anderer Stelle schonmal schrieb, das traditionelle Modell, mit dem die Lasten der Fürsorgearbeit immerhin von einer Schulter auf zwei verteilt wurden – indem nämlich jeder schwangeren Frau zwangsweise ein Mann zur Seite gestellt (oder besser: vor die Nase gesetzt) wurde. Das patriarchale Ehemodell ist heute zwar halbwegs egalisiert worden, und sogar homosexuelle Paare werden so ansatzweise vorstellbar.

Über Familienperspektive hinausdenken

Aber an dem grundlegenden Problem, dass Fürsorgearbeit Privatsache ist, ändert das nichts. Deshalb wäre es wirklich an der Zeit, über diese Familienperspektive hinauszudenken. Fürsorgearbeit ist keine Privatsache. Sie ist natürlich auch nicht Sache staatlicher Regulierung oder marktwirtschaftlicher Gewinnchancen. Let’s think outside the boxes.

Wovon hängt ihre Qualität ab? Nicht davon, ob sie innerhalb der Familie oder außerhalb gemacht wird. Es kann für Kinder gut sein, fast ihre ganze Zeit mit den Eltern zu verbringen, es kann aber auch schlecht sein. Es kann für Kinder gut sein, fast ihre ganze Zeit im Kindergarten zu verbringen, es kann aber auch schlecht sein. Kommt auf das Kind, die Eltern und den Kindergarten an.

Dasselbe gilt ja auch für alle anderen Bereiche der Hausarbeit. Was ist ein guter Kuchen? Das hängt nicht davon ab, ob ein Bäcker ihn gemacht hat oder meine Oma, ob dafür Geld bezahlt wurde oder nicht. Was ist gute Pflege? Zuhause oder im Heim? Professionell oder nicht? Alles falsche Gegenüberstellungen. Die Qualitätskriterien für Pflege sind ganz anderswo zu suchen.

Care-Revolution

Die aktuellen Debatten über die Care-Revolution haben genau an diesem Punkt ihre Stärke: Sie brechen endlich die Gegenüberstellung von Familie/Einrichtung, privat/professionell, bezahlt/ehrenamtlich in diesem Zusammenhang auf. Es ist nicht wichtig, ob Care-Arbeit in der Familie oder außerhalb der Familie getan wird, sondern es ist wichtig, dass sie gut getan wird, und zwar gut sowohl aus Perspektive derjenigen, die sie tun, als auch aus der Perspektive derjenigen für die sie getan wird.

Und die Politik soll nicht mehr länger darüber nachdenken, was für eine Familienpolitik sie machen soll, am besten hört sie ganz damit auf. Sie soll darüber nachdenken, welche Rahmenbedingungen nötig sind, damit Care-Arbeit endlich den Platz in der Volkswirtschaft bekommt, der ihr von ihrer Bedeutung her zusteht.

PS: Wo ich schon mal dabei bin: Warum eigentlich muss die Kosten für eine Schwangerschaft der Arbeitgeber bezahlen, bei dem die Frau, die schwanger ist, gerade zufällig arbeitet? Es ist doch vollkommen albern, anzunehmen, dass das NICHT zu einer Diskriminierung von jungen Frauen bei der Arbeitssuche führen könnte. (Antje Schrupp, dieStandard.at, 22.5.2014)