Vor allem die mediale Nennung von Details zur Suizidmethode und vereinfachende Erklärungen können Suizidabsichten verstärken.

Foto: Standard

Wien - Mehr als 100 Studien belegen - nach Goethes traurigem Helden benannt - den sogenannten "Werther-Effekt", dem zufolge reißerische Berichterstattungen über Selbstmorde eine bereits vorhandene Suizidabsicht verstärken können. "Depressive Menschen sind einer hohen inneren Anspannung und Ambivalenz zwischen Lebens- und Todesimpulsen ausgesetzt, deshalb müssen Medien vorsichtig sein", sagt Psychiater Nestor Kapusta vom AKH Wien.

Als schädlich haben sich vor allem die Nennung von Details zur Suizidmethode sowie vereinfachende Erklärungen erwiesen. Starke Simplifizierung und sensationsträchtige Berichterstattung - auch über Selbstmorde von Prominenten - bergen die Gefahr von Imitationseffekten.

Umgekehrt können positive Berichte mit Fokus auf Krisenbewältigung und erfolgreicher Therapie die Suizidraten senken ("Papageno-Effekt"), auch dies zeigen Studien. Vorsichtig sein müsse man bei Suiziden von Prominenten, weil dort der Nachahmungseffekt oft besonders stark ist.

In Österreich haben sich die meisten Tages- und Wochenzeitungen zur Selbstregulierung verpflichtet. Der Ehrenkodex für die österreichische Presse gemahnt zu "großer Zurückhaltung", zum "Abwägen, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht", und einem Verzicht auf "überschießende Berichterstattung".

"Reißerisch" als Gefahr

"Die freiwillige Selbstverpflichtung in Österreich funktioniert sehr gut - auch im internationalen Vergleich", sagt Sozialmediziner Thomas Niederkrotenthaler vom Zentrum für Public Health der Med-Uni Wien, der sich seit Jahren mit dem Thema Suizid und Medien beschäftigt. Anders als noch in den 1980er-Jahren ist reißerische Berichterstattung heute die Ausnahme. Die Selbstverpflichtung ist der richtige Weg, so der Experte: "Erfahrungen aus Ländern wie Norwegen und Neuseeland haben gezeigt, dass eine legislative Regelung nicht funktioniert und das Stigma hinsichtlich Suizid eher verstärkt."

Bis auf wenige Ausnahmefälle sei Österreich ein Musterbeispiel in Sachen Suizidberichterstattung, so Niederkrotenthaler. Auch wenn es beim letzten aufsehenerregenden Suizidfall, der Hausexplosion Ende April in der Mariahilfer Straße in Wien, nicht optimal gelaufen ist. So titelte eine Boulevardzeitung reißerisch "Aus Liebeskummer Haus gesprengt". Auch fehlten den Berichten meist Informationen, wohin sich Menschen in Krisen, auch solche, die durch den Hauseinsturz traumatisiert waren oder sich bedroht fühlten, wenden können." Es ist selbstverständlich, dass Medien in diesen Fällen über das Geschehen ausführlich berichten. Jedoch geht es auch hier um das Wie der Berichterstattung", sagt Niederkrotenthaler. Diese sollte ihm zufolge immer auch Alternativen und Hilfsangebote für Betroffene beinhalten und Privatheit wahren. (fbay, DER STANDARD, 20.5.2014)